Wie gebe ich konstruktive Kritik? – Herz & Zunge Folge #010

von | Jun 27, 2022 | Respektvolle Gespräche, Herz & Zunge | 0 Kommentare

Dieser Artikel ist in Anlehnung an die zehnte Folge des Herz & Zunge Podcasts entstanden, den ich gemeinsam mit Lena Bodenstedt hoste.

Kennst Du das, wenn Dich etwas stört, und Du weißt nicht, wie Du es ansprechen sollst? Du trägst es schon eine Weile mit Dir herum. Am Anfang war es nur eine Kleinigkeit, aber inzwischen nervt es Dich immer mehr, und Du merkst: Es geht nicht mehr. Du musst es ansprechen, damit sich endlich etwas ändert. Für genau diese Fälle haben Lena und ich eine Podcastfolge aufgenommen:

Herz & Zunge #010 - Wie gebe ich konstruktive Kritik?

In der Folge davor ging es ja bereits darum, wie wir auf Kritik von anderen reagieren können. Nun wechseln wir die Perspektive: Wie kann ich selber konstruktiv Kritik formulieren, wenn mich etwas stört? Und zwar so, dass meine Gesprächspartner*innen das auch gut annehmen können? So, dass wir uns gemeinsam nach einer Lösung umschauen?

Bevor ich konstruktive Kritik gebe

Dafür schauen wir uns als erstes an, was Du Dir möglichst noch vor dem Gespräch klarmachen solltest. Stell Dir die folgenden Fragen und beantworte Sie, ganz in Ruhe, nur für Dich. Sie werden Dir viel Klarheit bringen und Dir helfen, im Gespräch wirklich konstruktiv zu bleiben.

  • Was ist genau ist mir aufgefallen? Was stört mich? Versuche hier wirklich nur zu beschreiben. Keine Interpretation, keine Bewertung. Wenn Du so ein diffuses Gefühl hast, aber noch nicht genau benennen kannst, was Dich stört, beobachte weiter. Für ein Kritikgespräch ist es dann noch zu früh.
  • Wie fühle ich mich dabei? Welches Bedürfnis oder welcher Wert steckt dahinter? Wenn Du zu diesem Schritt mehr wissen möchtest, hör mal in diese Herz & Zunge Folge rein!
  • Was ist mein Anteil? Wie trage ich zu dem Problem bei?
  • Wie sehen meine Gesprächspartner*innen die Situation? Versuche Dich wirklich in ihre Perspektive hineinzuversetzen.
  • Was möchte ich erreichen? Formuliere Dein Ziel.

Damit Du Dir das besser vorstellen kannst, zeige ich es Dir an einem Beispiel. In der Podcastfolge spielen wir das Ganze noch an einem zweiten Beispiel durch, das findest Du bei Minute 09:09-13.30. Ich möchte den Artikel aber nicht zu lang werden lassen, dehalb gibt es hier nur eins:

Hannah und das Spülmaschinen-Problem

Hannah wohnt in einer Zweier-WG. Mit ihrer Mitbewohnerin Jo versteht sie sich gut, aber im Moment gibt es eine kleine Sache, die sie stört. Jo steht immer sehr früh auf, frühstückt und stellt dann ihr Geschirr auf die Spülmaschine, die zu dem Zeitpunkt meist noch mit sauberem Geschirr gefüllt ist. Dann geht sie zur Arbeit.

Hannah steht eine Stunde später auf und kümmert sich als erstes um die Spülmaschine: sauberes Geschirr ausräumen, dreckiges Geschirr von Jo einräumen. Dann schnell frühstücken und zur Arbeit. Eigentlich hat sie es morgens immer eilig, aber stehenlassen mag sie es auch nicht. So langsam stört es sie jetzt aber doch, dass das immer und immer wieder so läuft. Sie beschließt, Jo darauf anzusprechen.

Hannahs Antworten auf die Fragen

  • Was genau ist mir aufgefallen?Jeden morgen, wenn ich in die Küche komme, steht Jos Tasse, Teller und Müslischale auf der unausgeräumten Spülmaschine.
  • Wie fühle ich mich dabei? – Ich bin genervt, weil ich möchte, dass die Haushaltsarbeit fair verteilt ist. Manchmal bin ich auch gestresst, weil ich morgens eigentlich keine Zeit habe, um mich um die Spülmaschine zu kümmern.
  • Welchen Anteil habe ich an der Situation?Ich räume die Sachen jeden Morgen weg. So braucht Jo sich gar nicht damit zu beschäftigen.
  • Wie sieht Jo die Situation? – Vielleicht räumt sie die Spülmaschine bewusst nicht aus, um so früh keinen Lärm zu machen. Sie will mich vielleicht einfach nicht wecken. Oder sie ist einfach furchtbar müde und schafft es gerade so, pünktlich aus dem Haus zu kommen. Vielleicht ist ihr auch gar nicht bewusst, dass mich das mit dem Geschirr stört?
  • Was möchte ich erreichen? – Ich möchte das nicht mehr machen. Jo soll ihre Sachen selbst einräumen.

Wie formuliere ich meine Kritik?

Aber wie schafft es Hannah, die Kritik so zu formulieren, dass Jo sich darauf einlassen kann? Das funktioniert besonders gut, wenn sie es schafft, bei sich zu bleiben. Das heißt: sie erzählt von ihrer Sichtweise, ihren Gefühlen und ihren Lösungsideen. Und dann gibt sie Jo die Gelegenheit, ihre eigene Sichtweise darzustellen. So kommen die beiden ins Gespräch. Sie erfahren mehr über die Situation und übereinander. Die Gefahr, dass sie sich streiten, ist gering, solange sie nicht mit Vorwürfen oder Bewertungen arbeiten.

Dafür gibt es die SAG ES Formel. SAG ist die Ich-Botschaft und ES ist der Teil, wo die beiden in den Dialog kommen. Und so könnte das aussehen:

  • S – Sichtweise ansprechen: Ich habe festgestellt, du stellst morgens deine leere Müslischale und deine Tasse auf die Spülmaschine.
  • A – Auswirkungen beschreiben: Wenn ich aufstehe, räume ich die Spülmaschine aus und räume Deine Sachen ein. Dadurch brauche ich morgens länger, als ich möchte.
  • G – Gefühle bennen: Ich bin gestresst, weil ich morgens gerne etwas mehr Zeit für mich hätte, und ich ärgere mich, weil es mir wichtig ist, dass wir die Arbeit gerecht aufteilen.
  • E – Erfragen der anderen Perspektive: Wie ist das für dich? Wie kommt es, dass Du die Sachen dort abstellst? Hast Du eine Idee, wie wir in Zukunft damit umgehen könnten?
  • S – Schlussfolgerung ziehen: Das ist der Teil, wo die beiden gemeinsam auf Lösungssuche gehen.

Dabei ist es besonders hilfreich, wenn sie nicht nur über ihre Gefühle, sondern auch über die dahinterstehenden Werte und Bedürfnisse sprechen. Hannah hat zum Beispiel gesagt, sie möchte, dass die Arbeit gerecht verteilt ist. Da könnte Jo einhaken: „Was könnte denn eine gerechte Aufteilung sein?“

Der Vorteil, wenn wir anfangen, über Bedürfnisse zu sprechen: Es gibt ganz viele verschiedene Lösungsmöglichkeiten! Hannah und Jo könnten sich abwechseln, Hannah könnte aber auch die Spülmaschine ausräumen und Jo geht dafür nach der Arbeit einkaufen. Oder die beiden räumen die Spülmaschine schon am Abend aus!

Wenn Dich das Sprechen über Gefühle und Bedürfnisse interessiert, empfehle ich Dir übrigens die Herz & Zunge Folge #005 – Ich fühle also bin ich.

Jede hat ihre Sichtweise

In unserem zweiten Beispiel geht es übrigens um ein Problem bei Hannah auf der Arbeit. Sie ist die Vertriebschefin ihrer Firma, und zwischen dem Außen- und Innendienst gibt es ein Kommunikationsproblem. Wie Hannah das mithilfe der SAG ES Formel anspricht, kannst Du Dir bei Minute 19:30-23:45 anhören.

Auch da ist es so, dass die Dialogphase viele Möglichkeiten bietet, um mehr über das Problem und die Sichtweisen der Beteiligten herauszufinden. Das ist ein ganz wichtiger Schritt, denn wenn wir nur von unserer eigenen Sichtweise ausgehen, sehen wir uns häufig als Opfer der Situation. Dann übersehen wir unseren eigenen Anteil und die Situation der Gesprächspartner*innen.

Die SAG ES Formel basiert auf der Grundannahme, dass auch die anderen ihre subjektive Sichtweise und ihre Gründe haben, so zu handeln. Dabei gibt es nicht DIE richtige oder falsche Sichtweise. Es sind einfach verschiedene Perspektiven auf ein Problem, und die können zusammengebracht werden, um es für alle zufriedenstellend zu lösen.

Aktiv zuhören

Eine hilfreiche Technik für die Dialogphase ist übrigens das Aktive Zuhören. Dabei gibst Du eine Sichtweise von jemand anderem in Deinen eigenen Worten wieder. Anschließend kann Die Person bestätigen oder korrigieren. Das kannst Du…

  • mit inhaltlichen Aussagen machen (Du wünschst Dir eine Lösung, bei der… Habe ich das richtig verstanden?)
  • und mit Stimmungen und Gefühlen (Ich habe den Eindruck, dass Du verärgert bist. Stimmt das?)

Lena und ich haben schon beschlossen, dass wir dazu mal eine extra Folge (+ Blogartikel) machen 😉

Grundregeln für konstruktive Kritik

Zum Schluss möchte ich Dir noch 7 Grundsätze mitgeben. Im Grunde ist das die Definition konstruktiver Kritik, wie ich sie schon in meinem ersten Kritik-Artikel herausgearbeitet habe. Die 7 Grundsätze beschreiben aber auch eine Haltung, die wirklich konstruktiven Gesprächen zugrundeliegt.

  1. Benenne konkret, worum es geht. Sei präzise und meide Verallgemeinerungen wie „immer“ oder „andauernd“.
  2. Kritisiere das Verhalten, nicht die ganze Person.
  3. Sprich freundlich und vermeide abwertende Worte.
  4. Sprich ganz bewusst subjektiv. Sei Dir bewusst, dass alle Beteiligten ihre ganz eigene Sicht auf die Situation haben.
  5. Zeige echtes Interesse an der Sichtweise Deiner Gesprächspartner*innen.
  6. Wenn Du Deine Emotionen zeigst, bleibe bei Dir. Erkläre, wie Du tickst und was Du brauchst. Meide Vorwürfe.
  7. Suche nach Lösungen.

Konstruktiv kommt vom lateinischen Wort construere – aufbauen. Ein konstruktives Gespräch ist also wie das Aufbauen eines gemeinsamen Hauses. Nach und nach wird es größer, und mit jeder konstruktiven Kritik, jeder gemeinsamen Lösung kommen ein paar neue Steine dazu.

Es gibt aber auch Kulturen, in denen Probleme nicht so direkt angesprochen werden. Wenn Dich das interessiert, könnte dieses Feature über Kommunikation „durch die Blume“ interessant sein.

Wie geht es Dir mit dem Formulieren von konstruktiver Kritik? Welche Erfahrungen hast Du damit gemacht und welche Hindernisse begegnen Dir? Vielleicht kann ich Deine Fragen mit einem weiteren Blogartikel beantworten!

Bis dahin alles Liebe
Paula

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