Im März gibt es mal was ganz Einfaches: Gähnen! Das ist im Grunde eine natürliche Dehnübung, etwas, das wir ganz intuitiv machen und für die Stimme nutzen können. Ein Klassiker in so ziemlich jeder Richtung der Stimmschulung!
Bei der Recherche für diesen Artikel habe ich mich nochmal intensiver mit den Hintergründen beschäftigt: Warum machen wir das eigentlich? Außerdem erfährst Du, was beim Gähnen passiert und wieso das so gut für Deine Stimme ist. Zum Schluss gebe ich Dir noch Tipps, wie Du ein Gähnen ganz bewusst auslösen kannst. Viel Spaß!
Was passiert beim Gähnen?
Wie Gähnen geht, weißt Du vermutlich ganz intuitiv. Wie Lachen oder Weinen gehört es zu den „emotionalen Grundmustern“, die man bei Menschen überall auf der Welt finden kann. Sogar ungeborene Babys gähnen im Bauch und strecken sich dabei! Und das passiert ganz konkret beim Gähnen:
- Der Mund öffnent sich maximal.
- Manchmal wird der Kopf dabei etwas in den Nacken gelegt, so hat der Unterkiefer mehr Raum, um sich zu öffnen.
- Die Augen schließen sich, manchmal tränen sie sogar.
- Du atmest lange und tief ein, und danach etwas kürzer aus.
- Beim Ausatmen entstehen vielleicht Töne, weil Deine Stimme mitgähnt.
- Oft streckt und räkelt sich der ganze Körper dabei.
Dieser Vorgang dauert so zwischen fünf und zehn Sekunden. Danach stellt sich oft ein befreites Gefühl ein: locker, präsent und wach. Auch der Atem fließt sehr wahrscheinlich tiefer und voller weiter, als noch davor.
Welche Wirkung hat Gähnen auf meine Stimme?
Gute Frage! Gähnen ist eine der ältesten Stimmübungen, mit vielen positiven Auswirkungen auf Körper, Atem, Artikulation und Stimme. Die wichtigsten habe ich für Dich zusammengefasst:
1. Dein Atem verbessert sich
Beim Gähnen atmest Du tief und kräftig ein. Das Zwerchfell wird dabei aktiviert, es senkt sich nach unten. Dadurch ist Dein Atem auch nach dem Gähnen voller und freier. Das Zwerchfell arbeitet wieder ökonomischer, Bauch und Brustraum können sich weiten und entspannen.
2. Du kannst deutlicher sprechen
Die Muskeln in Deinem Gesicht werden ordentlich gedehnt. Dadurch werden sie lockerer und beweglicher, und Du kannst deutlicher sprechen. Diese Lockerung kann bis in die Schulter- und Nackenmuskeln reichen – wenn Du Dich dabei streckst, erfasst sie den ganzen Körper.
3. Die Stimme wird tragfähiger
Wenn Du gähnst, wird Dein Rachen ganz weit. Die Muskeln entspannen sich und der Kehlkopf sinkt leicht nach unten. Durch die Aktivierung des Zwerchfells kann Dein Atem die Stimme besser (unter)stützen. Dadurch wird Deine Stimme klarer und bekommt mehr Resonanz. Das heißt, sie ist tragfähig und hat einen vollen, vielschichtigen Klang, ohne dass Du Dich anstrengen musst. Anfangs ist das nur ein kurzfristiger Effekt, aber wenn Du regelmäßig übst und die Veränderung bewusst wahrnimmst, merkt sich der Körper diese weiche, weite Einstellung. Dann kannst Du sie auch im Alltag immer mehr nutzen.
4. Spannungsausgleich
Verspannungen und Verkrampfungen werden gelöst. Gleichzeitig entsteht aber auch eine leichte Grundspannung, eine Wachheit im Körper. Diese Mischung brauchst Du für Stimme und Kommunikation.
5. Genuss
Gähnen, Räkeln und Strecken können richtig genussvoll sein! Dieses subjektive Empfinden ist mindestens genauso wichtig wie die körperlichen Vorgänge. Genuss hat nämlich eine sehr positive Wirkung auf die Stimme. Und wenn Du Dich wohlfühlst, bei Dir bist und im Moment, dann bist Du auch präsenter in der Kommunikation. Das Gähnen hilft dabei, es macht weit, weich und wach. – Und das ist GENAU das, was wir zum Sprechen brauchen 🙂
Warum gähnen wir?
Eigentlich sind das ja schon genug Gründe, wieso es sich lohnt, zu gähnen. Die Forschung ist sich trotzdem noch nicht einig, wodurch Gähnen ausgelöst wird und welchen Zweck es verfolgt. Die verschiedenen Hypothesen finde ich richtig spannend:
1. Gähnen versorgt das Gehirn mit Sauerstoff
Früher dachte man, Gähnen würde immer dann ausgelöst, wenn man zu wenig Sauerstoff, bzw. zu viel CO2 im Blut hat. Diese Annahme geht im Grunde noch auf den antiken Arzt Hippokrates zurück. Der dachte, dass man dabei „schlechte Luft“ loswird. Durch das vertiefte Ein- und Ausatmen wird der Gasaustausch im Blut zwar verbessert, das scheint aber nur ein Nebeneffekt zu sein. Als Auslöser des Gähnens wurde es inzwischen widerlegt.
2. Gähnen macht wach
Über diese Theorie wird immer noch gestritten. Verschiedene Studien lieferten Hinweise darauf, dass Gähnen eine aktivierende Wirkung auf den Körper hat, ganz ähnlich wie Koffein. Forscher stellten zum Beispiel fest, dass…
- die Herzfrequenz während des Gähnens und kurz danach steigt.
- die Konzentration von Hormonen und Neurotransmittern sich verändert.
- das Gehirn beim Gähnen vom Ruhenetzwerk auf die Bereiche umschaltet, die für bewusste Konzentration typisch sind.
- das Nervensystem stimuliert wird. Genauer: beim Gähnen dominiert der Parasympathikus der für Entspannung zuständig ist. Nach dem Gähnen dominiert der Sympathikus, für Aktivität. Den Effekt des Spannungsausgleichs findet man auf dieser Ebene also wieder.
Vor diesem Hintergrund macht es Sinn, dass wir oft gähnen, wenn wir müde sind, oder? Wir versuchen, uns bei der Stange zu halten und wieder wach zu werden.
3. Gähnen kühlt das Gehirn
Eine andere Studie stellte fest: Menschen und Tiere gähnen besonders häufig, wenn es warm ist. Legt man ihnen dagegen beim Gähnen ein Eispack auf die Stirn, hören sie auf. Die Schlussfolgerung: Gähnen kühlt das Gehirn! Die starke Dehnung der Muskulatur verbessert die Durchblutung. Dazu wird viel kühle Luft eingeatmet. Beides hilft, um die Temperatur des Gehirns wieder unter Kontrolle zu bringen. Das erklärt auch, warum wir manchmal bei Angst oder Stress vermehrt gähnen. Die lassen die Temperatur des Gehirns nämlich ansteigen, und Gähnen ist unser Gegenmittel.
4. Gähnen zeigt, wie es uns geht, und schafft Verbindung
Inzwischen gibt es aber auch viele Wissenschaftler*innen, die Gähnen vor allem als soziales und kommunikative Phänomen sehen. Indem ich gähne, drücke ich aus, wie es mir gerade geht. Das ist besonders spannend, wenn man bedenkt, dass Gähnen ansteckend ist. Kennst Du das auch? Irgendjemand fängt an, und Du kannst nicht anders: Du macht einfach mit!
Manche Forscher*innen gehen davon aus, dass das in unserer Evolution ein Vorteil war. Stell Dir vor, eine Gruppe Urmenschen sitzt Abends am Lagerfeuer. Die ersten werden müde und fangen an zu gähnen – dadurch werden sie wieder wacher und konzentrierter, und auch die anderen machen gleich mit. So bleibt die ganze Gruppe aufmerksam.
Dieser Effekt ist stärker, je näher man sich steht. Er funktioniert aber durchaus auch auf die Distanz: bei Fremden oder zwischen Mensch und Tier. Manchmal reicht es sogar, darüber zu sprechen oder das Wort irgendwo zu lesen. Dass es auch mit Videos klappt, zeigt diese Katze, die bei „Tom und Jerry“ einfach mitgähnt:
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Gähnen als Stimmübung
Meistens gähnen wir ja unwillkürlich, wenn wir müde, gelangweilt, hungrig oder gestresst sind. Oder wenn wir zu lange schief auf dem Sofa saßen (da habe ich das oft 😉). Mit ein bisschen Übung kann man das Gähnen aber auch ganz bewusst auslösen.
Wenn Du Gähnen als Stimmübung nutzen möchtest, solltest Du keine Schmerzen oder Beschwerden im Kiefer haben. Bitte achte bei der Übung gut auf Dich und mach nichts, was sich unangenehm, fest oder schmerzhaft anfühlt.
Alles ok? Dann probier doch mal aus, ob Du ganz bewusst ein Gähnen initiieren kannst. Wenn es nicht gleich klappt, hilft Dir vielleicht einer der folgenden Tricks:
Strecken und Spannung aufbauen
- Stelle oder setze Dich locker und aufrecht hin.
- Nimm die Arme dazu und streck Deinen ganzen Körper.
- Balle beim Einatmen Deine Fäuste und lass sie beim Ausatmen wieder los.
- Leg die Hände auf Deine unteren Rippen. Zieh dann die Ellbogen mit der Einatmung nach außen.
Diese Bewegungen kannst Du ruhig 3-4 Mal wiederholen. Immer beim Einatmen lädst Du das Gähnen ein. Und irgendwann kommt es. Nicht? Dann lies weiter:
Kiefer und Rachen weit werden lassen
- Nimm erstmal Kontakt mit Deinem Kiefermuskel auf. Du findest ihn, indem Du die Hände vor den Ohren auf Deine Wangen legst und dann leicht die Zähne zusammenbeißt. Dieser kleine Wulst, der sich vom Unterkiefer in Richtung Auge zieht und beim Beißen hervortritt? Hallo Kiefermuskel! Zur Vorbereitung kannst Du ihn sanft massieren und ausstreichen.
- Fahre mit Deiner Zunge oben am Gaumen entlang: von den Schneidezähnen nach hinten. Du kannst einfach sanft nach hinten gleiten oder schrittweise mit der Zunge gegen den Daumen drücken. Wiederhole das ruhig ein paar Mail, und denke dabei ans Gähnen.
- Forme mit Deinen Lippen ein „o“, so als würdest Du am Daumen oder an einem Lolli lutschen. Zieh die Oberlippe nach vorne-unten und senke Deinen Unterkiefer. Sobald das Gähnen einsetzt, kannst Du den Mund natürlich öffnen.
- Folgende Bilder können dabei helfen:
- Stell Dir vor, dass Du in Deinem Mund eine Kugel aus Luft umschließt.
- Spanne einen Regenschirm in Deinem Mund auf.
- Du hast eine Seifenblase im Mund. Atme vorsichtig ein, ohne sie zerplatzen zu lassen.
- Kühle eine heiße Kartoffel im Mund.
Spiegelneuronen nutzen
- Gähne mit jemandem zusammen.
- Schau Dir Bilder oder Videos an, auf denen jemand gähnt.
Ich gähne! Und jetzt?
Wenn Du Dein Gähnen gefunden hast, wiederhole das so 3-5 Mal sehr genussvoll. Dann spür nach und sag ein paar Worte. Wie fühlt sich das Sprechen jetzt an?
Das kannst Du super zum Aufwärmen vor dem Sprechen verwenden. Aber auch als Erholungsprogramm für eine ermüdete Stimme eignet sich das Gähnen (dann reichen 1-3 Mal).
Übrigens: Wenn Du beim Stimmtraining besonders viel gähnen musst, ist das ein gutes Zeichen. Deine Atmung wurde angeregt, und der Körper regeneriert sich.
Hast Du heute etwas Neues zum Thema Gähnen erfahren? Wenn etwas spannendes für dich dabei war, erzähl es mir gerne in den Kommentaren. Außerdem interessiert mich sehr, ob Dir einer meiner „Tricks“ hilft, ins Gähnen zu kommen 🙂
Alles Liebe und bis bald
deine Paula
Quellen
Margarete Saatweber, Einführung in die Arbeitsweise Schlaffhorst-Andersen. Schulz-Kirchner-Verlag, Idstein 2007 (6. Auflage).
Horst Coblenzer, Franz Muhar, Atem und Stimme.öbv hpt verlag, Wien, 2006 (20. Auflage).
Hiltrud Lodes, Atme richtig. Goldmann Verlag München, 10. Auflage, 2000.
Walburga Brügge/Katharina Mohs, Therapie funktioneller Stimmstörungen. Ernst Reinhardt Verlag München/Basel, 1996.
Online-Quellen findest Du in den Verlinkungen!
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