Dieser Artikel ist in Anlehnung an die 5. Folge des Herz & Zunge Podcasts entstanden, den ich gemeinsam mit Lena Bodenstedt hoste.
Über Gefühle sprechen – das wird oft als privat und irgendwie unprofessionell angesehen. Ist es aber gar nicht! Wir – meine Podcast-Kollegin Lena und ich – finden, dass das Sprechen über Gefühle eine Menge Klarheit bringen kann!
Möchtest du die Folge lieber anhören, als einen Text zu lesen? Dann klicke dich hier entlang.
Warum sind wir „pro Gefühl“?
Gefühle gehören zum Leben und zu uns Menschen dazu. Sie beeinflussen, wie wir anderen in der Kommunikation gegenübertreten. Das können wir nicht verhindern, selbst wenn wir es wollten. Und bevor es unbewusst passiert, können wir auch gleich damit arbeiten 😉
Außerdem verbinden wir sehr positive Dinge mit Gefühlen – und damit, über Gefühle zu sprechen. Gerade da, wo es sonst nicht so üblich ist, braucht es Mut, um Gefühle anzusprechen. In unseren Augen ist das ein Zeichen von großer Stärke!
Wenn eine Person über ihre Gefühle spricht, ist das sehr persönlich. Als Zuhörerin erfahre ich etwas darüber, wie die Person tickt und was ihr wichtig ist. Das finde ich spannend und auch hilfreich, um gut zusammenzuarbeiten. Unsere Beziehung bekommt dadurch Tiefe.
Wenn wir über Gefühle sprechen, entsteht Klarheit
Bestimmt kannst Du Dich auch an eine Situation erinnern, in der Gefühle eine Rolle gespielt haben, aber nicht ausgesprochen wurden. Du bemerkst zum Beispiel, dass Deine Kolleg*in gereizt ist, weiß aber nicht, warum. Hat es vielleicht was mit Dir zu tun? Oder hat es andere Gründe?
Lena erzählt dazu die folgende Geschichte: Sie hatte so einen Tag mit richtig schlechter Laune. Sie wusste nicht, was es war, aber alles hat sie gestört: die Unordnung in der Wohnung, die Mitbewohner, die zu wenig aufräumen, die Mitbewohner, die aufräumen und dabei Lärm machen, einfach alles. Sie merkte, dass sie zu den anderen unfair war. Sie konnten ihr einfach nichts recht machen.
Weil sie die anderen nicht verärgern wollte, hat sie beschlossen, über ihre Lage zu sprechen. Sie hat ihnen gesagt, dass es ihr heute nicht so gut geht, dass es aber nichts mit ihnen zu tun hat. Sie brauche Ruhe und wolle gerade mit niemandem reden. Das fiel ihr gar nicht so leicht – aber hinterher war sie erleichtert!
Was will das Gefühl mir sagen?
Damit ist Lena ein paar entscheidende Schritte gegangen:
- Sie hat ihr Gefühl akzeptiert und es vor sich selbst und den anderen eingestanden.
- Sie hat sich gefragt, was ihr jetzt gut tun würde. So ist sie vom Gefühl (reizbar, sauer) zu einem Bedürfnis (Ruhe) gekommen.
Man könnte auch sagen, Lena hat ihrem Gefühl zugehört und verstanden, was es ihr sagen wollte. Denn Gefühle sind nicht einfach so da – sie sind Hinweise, die uns, wenn wir wollen, weiter in die Tiefe führen, zu unseren Bedürfnissen. Das kann auch helfen, eine Lösung zu finden, denn wenn ich mein Bedürfnis kenne, kann ich überlegen, wie ich es mir erfüllen kann.
Lenas Lösung war ein gemeinsamer Spaziergang mit ihrem Partner – aber ohne zu reden. Kreativ, oder? Diese Strategie ist nicht nur praktisch für Tage mit schlechter Laune, sondern auch für die Kommunikation. Denn mit dem Wissen über meine Bedürfnisse, ist es viel leichter, konkrete Vorschläge oder Bitten zu formulieren. Und für andere ist es hilfreich, wenn sie mein Verhalten einordnen können und erfahren, wie sie mich unterstützen können.
Hinter negativen Gefühlen steckt ein positives Bedürfnis
Spannend finden wir dabei, dass uns das Ausdrücken von (sogenannten) positiven Gefühlen wir Freude leicht fällt. Ich bin zwar nicht der Typ Mensch, der wild herumspringt, wenn er sich freut, aber in meiner Körperspannung, Mimik und Gestik und auch in der Stimme schwingt sie mit.
Bei Wut, Trauer und Angst ist es dagegen schwieriger. Diese Emotionen zu zeigen oder darüber zu sprechen, birgt eine große Verletzlichkeit. Hier finden wir den Blick auf die Bedürfnisse hilfreich. Denn hinter dem negativen und erstmal unangenehmen Gefühl steckt ein positives Bedürfnis.
Mir persönlich hat das im Umgang mit Ängsten geholfen. Im Selbstlernkurs „Finde den Mut in Dir“ von Sandra Krüger haben wir uns die Frage gestellt, wovor uns die Angst beschützen will. Ein echter Wechsel der Blickrichtung! Denn auf einmal war die Angst kein Gegner mehr. Sie will mir helfen, indem sie mich vor einer vermeintlichen oder realen Gefahr warnt. So konnte ich einen konstruktiven und freundlichen Blick auf meine Ängste entwickeln.
Wer darf eigentlich was fühlen?
Wusstest Du, dass nicht allen dieselben Emotionen zugestanden werden? Wut wird zum Beispiel bei Männern eher akzeptiert als bei Frauen. In ihrem Buch „Wut und Böse“ erzählt Ciani Sophia Hoeder von einer Studie, nach der wütende Frauen weniger attraktiv, sympathisch und sogar weniger weiblich empfunden werden. Dabei empfinden alle Menschen grundsätzlich gleich viel Wut.
Wie sie bei nichtbinären Personen aufgenommen wird, geht aus der Studie nicht hervor, weil diese noch mit der binären Unterteilung in Männer und Frauen arbeitet.
Durch „Wut und Böse“ habe ich übrigens auch das Konzept der Wuträume kennengelernt. Das ist ein Raum, in dem Du alles zertrümmern kannst. Wirklich! Und weißt Du was? 74% der Kund*innen sind Frauen.
Aber auch Männer haben keine völlige „Gefühlsfreiheit“. Bei ihnen wird zum Beispiel Angst negativ bewertet. Sie passt nicht zum stereotypen Bild vom starken, mutigen Mann.
Lenas Wut-Erlebnis
In der Podcastfolge erzählt Lena, wie sie einmal einen Wutanfall in der Küche hatte. Sie wollte für sich und ihren Freund kochen, und es ist irgendwie viel zu salzig geworden. Darüber wurde sie so wütend, dass sie sich irgendwann wunderte: so viel Wut nur wegen dem sprichwörtlichen „Salz in der Suppe“? Dann wurde ihr klar, dass das gar nicht der einzige Grund war. Es gab noch eine weitere Situation, schon ein paar Wochen her, in der sie ihre Wut ganz bewusst nicht gezeigt hatte. Und die kam jetzt gleich mit raus und ließ sie Kork-Topfuntersetzer durch die Küche pfeffern.
Diese Wut endlich rauszulassen, tat gut. Hinterher fühlte sie sich erleichtert. Aber ihr Freund hatte sich ordentlich erschrocken. Wie können wir Wut und Ärger also Raum geben, ohne andere dabei zu verletzen?
Wie zeige ich meine Gefühle, ohne Andere zu verletzen?
Als erstes finden wir es wichtig, sich mit dem Gefühl zu beschäftigen, es zu fühlen und sich klar zu werden, was da genau los ist. Das muss nicht nur über den Kopf gehen – auch körperliche Empfindungen können auf Gefühle und Bedürfnisse hinweisen.
Damit es dann später auch in der Kommunikation gut klappt, kannst Du Dir die folgenden drei Fragen stellen:
- Was fühle ich?
- Wodurch wurde dieses Gefühl ausgelöst?
- Welches Bedürfnis steckt dahinter?
Hier ist jetzt etwas neues dabei. Über Gefühl und Bedürfnis haben wir schon gesprochen. Wieso braucht es denn zusätzlich noch einen Auslöser?
Ganz einfach: der Auslöser ist ein äußerer Anlass, der das Gefühl weckt. Bei Lena wäre es das Salz in der Suppe. Dieser Auslöser ist meistens etwas, das von außen kommt, und das Du nicht kontrollieren kannst. Ist das Salz erstmal drin im Essen, kriegst Du es nicht wieder raus.
Beim Bedürfnis ist es anders. Das ist bei Dir und in vielen Fällen kannst Du selbst etwas tun, um es Dir zu erfüllen.
Wenn Du es jetzt in der Kommunikation oder in der Zusammenarbeit mit jemand anderem mit einem Gefühl zu tun bekommst, dann hast Du die Wahl: Willst Du Dich auf den Auslöser fokussieren oder auf das Bedürfnis?
Fokus auf den Auslöser
Um den Unterschied zu zeigen, haben wir uns ein Beispiel ausgedacht: Lena und ich sind verabredet. Wir wollen uns bei Lena treffen, um die nächste Herz & Zunge Folge aufzunehmen. Ich komme pünktlich bei Lena an, aber sie ist nicht da. Erst nach einer halben Stunde taucht sie auf – sie war noch eben im Supermarkt, Kekse kaufen.
Wenn ich mich auf den Auslöser fokussiere, könnte es so laufen:
P: „Boah, da bist Du ja endlich. Ich bin richtig sauer, weil du mich so hast warten lassen.“
L: „Ist ja gut, ich wollte halt, dass wir es gemütlich haben. Ich hab noch eben Kekse gekauft.“
P: „Du immer mit deinen Keksen, ob ich hier vor der Tür stehe ist dir wohl egal.“
L: „Das ist mir nicht egal, aber ich möchte auch mal darauf hinweisen, dass ich die einzige bin, die vor unseren Aufnahmen was zum Knabbern besorgt. Das finde ich auch nicht so toll.“
Merkst Du, was hier passiert? Ein Vorwurf ergibt den nächsten. So kann sich die Wut leicht hochschaukeln. Lena und ich sind in einem Kreislauf aus Beschuldigung und Rechtfertigung gelandet. Da wieder herauszukommen, ist schwierig.
Fokus auf ein Bedürfnis
Wenn ich mich auf mein Bedürfnis fokussiere, könnte es so aussehen:
P: „Da bist du ja. Ich warte schon seit einer halben Stunde. Ich bin echt sauer, weil es mir wichtig ist, dass wir uns aufeinander verlassen können.“
L: „Oh je, das kann ich verstehen. Ich hatte vergessen Kekse zu kaufen und wollte gerne, dass wir es gemütlich haben. Deshalb bin ich noch los, obwohl es schon etwas spät war. Dann noch die lange Schlange…“
P: „Hmm, ok. Ich hätte sogar welche zu Hause gehabt. Ich hab nur nich daran gedacht.“
L: „Oh, echt? Dann lass uns beim nächsten Mal einfach vorher absprechen, wer was zu Essen mitbringt.“
P: „Ok. Wollen wir jetzt schnell hochgehen und die Zeit zum Aufnehmen nutzen?“
L: „Ja, gerne. Und es tut mir Leid, dass du warten musstest.“
Das ist natürlich ein ausgedachter Dialog. Aber in der Folge habe ich meine erste Reaktion spontan formuliert und weißt Du, was Lena gesagt hat? Dass sie sich gar nicht angegriffen fühlte, und dass sie mein Bedürfnis nachvollziehen konnte. Das ist genau der Vorteil der Bedürfnis-Strategie. In dem ich bei mir bleibe und Lena keinen direkten Vorwurf mache, kann sie meine Situation anerkennen – und ich ihre. So können wir Mitgefühl und Verständnis füreinander entwickeln. Der Ärger geht vorbei und wir können uns wieder auf unser gemeinsames Projekt – Herz & Zunge – konzentrieren.
Diese Vorgehensweise kommt aus der Gewaltfreien Kommunikation. Wenn Du Dich noch mehr damit beschäftigen möchtest, könnte das Buch „Gewaltfreie Kommunikation. Eine Sprache des Lebens“ von Marshall Rosenberg ein Einstieg sein.
Viele assoziieren Gewaltfreie Kommunikation eher mit dem Negieren und Unterdrücken von Gefühlen. Das ist aber gar nicht im Sinne des Konzepts. Gefühle sollten gefühlt und auch zum Ausdruck gebracht werden – auf eine Art und Weise, die niemand anderen verletzt und uns selber handlungsfähig macht.
Wie gehe ich eigentlich mit der Wut von Anderen um?
Aber wie gehe ich denn damit um, wenn ich mit der Wut einer anderen Person konfrontiert werde? Das ist eigentlich nicht der Schwerpunkt dieses Artikels (und der Folge), aber ich möchte gerne trotzdem noch kurz darauf eingehen.
Wenn jemand richtig wütend auf uns ist und das auch zeigt, ist die erste Reaktion häufig Abwehr. Vielleicht wirst Du auch wütend, vielleicht sagst Du so etwas wie „Hey, schrei mich bitte nicht so an. Können wir das nicht in einem vernünftigen Ton klären?“
Das ist erstmal verständlich. Und manchmal funktioniert es auch ganz gut – mir fällt zum Beispiel manchmal gar nicht auf, dass ich laut werde. Dann ist so ein Hinweis genau das, was ich brauche.
Spannend wird es, wenn es zwischen den beiden Gesprächspartner*innen eine Hierarchie gibt – das kann eine Arbeitshierarchie sein, aber auch gesellschaftliche Ungleichheit und Privilegien spielen eine Rolle. Besonders dann, wenn Du in der privilegierteren Position bist, solltest Du versuchen, die Wut erstmal auszuhalten und herauszufinden, welche Kritikpunkte dahinterstecken.
Es könnte ja sein, dass jemand eine Ungerechtigkeit erlebt, von der ich aufgrund meiner Privilegien noch gar nichts mitbekommen habe. Und dass diese Person gerade mutig – und wütend – für sich einsteht. In diesem Fall finde ich es angebracht, ihr zuzuhören.
Wird die berechtigte Wut sofort „gedeckelt“, bedeutet das oft, dass die inhaltliche Kritik nicht gehört wird. Auf diese Weise wird das empfundene Unrecht noch größer und die Chance, dass sich etwas ändert, geht gegen null. Es gibt sogar einen Begriff dafür: Tone Policing.
Das bedeutet für mich als als weiße, cis, nicht behinderte Frau, dass ich mir meiner Privilegien bewusst werden muss. Umgekehrt darf ich kritisch sein und mir bewusst Raum nehmen, wenn ein Mann versucht, mir meine Wut abzusprechen.
Zusammenfassung
Am Ende der Folge haben Lena und ich drei Merksätze formuliert, aus denen dann doch irgendwie vier wurden 😀
- Meine Gefühle und Bedürfnisse sind bei mir. Ich habe die Verantwortung, mich darum zu kümmern.
- Gefühle geben mir informationen über mich. Sie sind wertvolle Botschaften aus unserem Inneren.
- Über Gefühle zu sprechen, ist professionell. Es bringt Klarheit und Transparenz und kann die Zusammenarbeit verbessern.
- Wir wünschen uns Gefühlsgerechtigkeit. Alle sollen das ganze Spektrum an menschlichen Emotionen fühlen und zeigen dürfen!
Wie findest Du, unsere Merksätze? Stimmst Du ihnen zu oder denkst Du anders? Möchtest Du vielleicht noch einen ergänzen? Schreibe es mir gerne als Kommentar.
Alles Liebe
Deine Paula
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