Was Du von einem Igel über Deine Stimme lernen kannst

von | Sep 10, 2022 | Stimme | 2 Kommentare

Vor Kurzem habe ich dieses Igel-Video auf Instagram entdeckt. Ich wusste bis dahin gar nicht, dass es so etwas wie Hausigel gibt. Aber niedlich fand ich ihn schon, und ich war überrascht: was der Igel da macht, lässt sich erstaunlich gut auf den Menschen übertragen. Es kann Dir sogar helfen, mit einer entspannten und ausdrucksstarken Stimme zu sprechen!

Da sich das Video hier nicht gut einbetten ließ, habe ich mal auf Youtube geguckt. Und tatsächlich: ein ganz ähnliches Video! Es hat nur ziemlich laute Hintergrundgeräusche, ich empfehle Dir, den Ton etwas runterzudrehen.

Sich schützen oder genießen

Anfangs ist der Igel noch fast ganz eingerollt. So schützt er sich vor möglichen Gefahren. Dann riecht er den Wurm und öffnet sich immer mehr:

  • Er macht die Augen weit auf und schaut.
  • Die Ohren richten sich auf.
  • Er schnuppert und streckt sich nach dem Essen.
  • Vorder- und Hinterbeine und der Bauch kommen zum Vorschein.
  • Am Ende liegt er ganz offen und ausgestreckt da und genießt seinen Wurm.

Durch das leckere Essen kommt der Igel in einen anderen Körperzustand. Seine Haltung am Ende des Videos wirkt enspannt, ja sogar verletztlich. Er scheint sich sicher zu fühlen.

Nun bin ich keine Igel-Expertin, das sei vorweg gesagt. Ich schlage hier eher einen assoziativen Bogen. Aber das, was wir bei dem Igel sehen, lässt sich durchaus auch auf uns Menschen übertragen.

Eingerollter Igel – eingerollter Mensch?

Wenn wir – bewusst oder unbewusst – das Gefühl haben, dass wir uns schützen müssen, machen wir körperlich zu. Im stressigen Alltag zum Beispiel, wenn sich zwischen Fristen, Terminen, Erwartungen so ein Gefühl von „zu viel“ einstellt.

Bei mir sieht das dann oft so aus:

  • Meine Schultern sind angespannt. Sie wandern nach oben und vorne.
  • Nacken- und Kiefermuskulatur spannt sich an.
  • Überhaupt habe ich einen höheren Muskeltonus. Der ganze Körper ist eher fest als beweglich.
  • Mein Atem wird flacher.
  • Meine Stimme hat weniger Klang. Das Sprechen ist anstrengender.

Was passiert im Inneren, wenn ich mich „einrolle“?

Diese körperlichen Signale haben eine Entsprechung in meinem Innenleben. Ich nehme zum Beispiel weniger wahr, weil ich mich auf das fokussiere, was gerade unmittelbar anliegt. Mein Blick richtet sich auf den Bildschirm, und wenn ich draußen unterwegs bin, dann gehe ich oft in Gedanken schon die nächste Aufgabe durch.

Auch die Spannung und Festigkeit spiegelt sich nach innen: Wenn etwas Unerwartetes passiert, kann ich mich nur schwer darauf einlassen. Wenn ich so richtig gestresst bin, fällt es mir auch schwer, mich emotional berühren zu lassen. Dafür habe ich dann einfach keine Zeit – so mein Gefühl.

Schaut man sich das Ganze auf der Ebene des Nervensystems an, bin ich im Überlebensmodus. Der sympathische Teil des Nervensystems – also der, der für Aktivität, Stress und schnelle Reaktionen bei Gefahr zuständig ist, dominiert. Ich renne von A nach B oder haue in die Tasten, und meine Gedanken rennen auch. Dieser Zustand nennt sich auch fight or flight.

Irgendwann bin ich vielleicht sogar so gestresst, dass meine Aktivität in Überforderung und Erstarrung umschlägt. Dann bin ich im freeze Modus angekommen – die Entsprechung zum Igel, der sich einrollt und wartet, bis die Gefahr vorüber ist.

Der Genuss-Igel und der Genuss-Mensch

Und der andere Zustand? Genuss, Entspannung, Weite? Auch den gibt es bei uns Menschen, zum Beispiel wenn wir – wie der Igel – ein leckeres Essen genießen, im Kontakt mit vertrauten Menschen sind oder für uns allein den Tag genießen. Hier dominiert der andere Teil des Nervensystems, der Parasympathikus. Er ist für Entspannung, Regeneration und Kontakt zuständig. Voraussetzung für seine Aktivität: ein Gefühl von Sicherheit.

Ok, fragst Du Dich vielleicht, und was hat das jetzt mit meiner Stimme zu tun?

Dafür schauen wir uns an, was sich im Körper verändert. Ich gehe wieder von mir aus, wenn ich ganz gemütlich in meinem Tempo in den Tag starte, mit meinem Frühstücksmüsli auf dem Fußboden sitze und die Morgensonne genieße.

  • Mein Körper entspannt sich. Alles fühlt sich warm und wohlig an.
  • Mein Atem ist tief und ruhig. Kann sein, dass ich seufze und danach noch ruhiger weiteratme.
  • Mein Blick ist weit und offen.
  • Meine Stimme ist resonanzreich, vielleicht auch noch etwas tiefer als sonst, weil es Morgen ist. Sie klingt warm und weich. Das Sprechen fühlt sich leicht und sinnlich an.

Auch die innere Verfassung ist jetzt ganz anders. Ich habe noch keine Agenda für den Tag. Bin offen und gehe so meinen Gedanken nach. Ich nehme vieles um mich herum wahr und kann spontan und kreativ sein.

Was bedeutet das für´s Sprechen?

Dass die Stimme im entspannten, sicheren Zustand freier schwingen kann, hast Du schon gesehen. Es ist nicht nur leichter zu sprechen, die Stimme transportiert auch mehr von Dir. Deine Gedanken und Gefühle in dem Moment drücken sich in ihr aus, sie ist durchlässig. Es ist buchstäblich leichter, mit anderen in Kontakt zu kommen, sie zu berühren oder zu begeistern. Denn Du bist zuallererst mit Dir selbst in Kontakt.

Jetzt ist es natürlich nicht so, dass ich mich immer 100-prozentig sicher fühle, wenn ich mit oder vor anderen Menschen rede. Und genau deswegen hat auch meine Stimme nicht immer diese totale Durchlässigkeit und Weite. Das ist ok. Und doch finde ich es hilfreich, wenn ich mich auf eine Sprechsituation vorbereite, ganz bewusst etwas Weite herzustellen.

Strategien für mehr Weite und Lockerheit im Alltag

Dafür habe ich Dir ein paar Strategien zusammengestellt:

  • Genuss: Baue auch im stressigen Alltag immer wieder Genussmomente ein. Ein Spaziergang? Eine Runde Sonnen am Fenster? Ein Stück Torte oder ein Käsebrot? You name it.
  • Bewegung: Setz der körperlichen Anspannung etwas entgegen, indem Du Dich bewegst. Spazieren gehen, zum Radio in der Küche tanzen, einfach mal aufstehen und Dich strecken oder durchschütteln – mach das, was Du gerne machst und was Dir gut tut.
  • Entspannung der Augen: Die Augen haben viel zu tun, besonders wenn wir am Bildschirm arbeiten. Gönne ihnen eine Pause, in dem Du aus dem Fenster schaust oder rausgehst. Oder Dich einen Moment hinlegst und sie zumachst 😉
  • Klang: Wenn es sich gut anfühlt, singe oder summe oder sprich mit einer vertrauten Person. Auch durch die Stimme kann der Parasympathikus aktiviert werden. Alternative: hör Musik, die Du magst und die Dich entspannt.
  • Berührung: Selbstmassage hat eine beruhigende und ausgleichende Wirkung. Du kannst den ganzen Körper sanft abklopfen oder zum Beispiel, Kopf, Schläfen und Gesicht massieren. Oder einfach mal die Handflächen auf Deine Augen, den Unterkiefer, Dein Herz oder Deinen Bauch legen.
  • Atem: Nimm Dir einen Moment Zeit und beobachte Deinen Atem. Lass ihn ganz ungestört fließen, schau einfach nur dabei zu. Wenn Du magst, kannst Du auf „sch“ ausatmen.
  • Erdung: Leg Dich auf den Boden oder spüre im Stehen/Sitzen ganz bewusst den Kontakt nach unten, zum Boden oder zu der Fläche auf der Du sitzt. Wenn Du noch mehr Erdung willst, mach das Ganze draußen, zum Beispiel barfuß auf einer Wiese.

Im Grunde kann mag sagen: Alles, was Dir gut tut und Dich entspannter und ausgeglichener macht, das ist auch für Deine Stimme gut. Das können auch ganz individuelle Dinge sein.

Die Buffet-Übung

Zum Schluss möchte ich Dir noch eine Übung für Deine Stimme zeigen. Sie ist ein uralter Klassiker, ich habe mich aber an der etwas aktualisierten Version in dem Buch „Sprechübungen“ von Barbara Maria Bernhard orientiert. Als ich den kleinen Igel gesehen habe, musste ich sofort an diese Übung denken!

Stell Dich hin und überlege mal, was Du richtig gerne isst – Dein Lieblingsessen für diesen Moment.

Dann stell Dir vor:

  • Wie riecht Dein Lieblingsessen?
  • Wie sieht es aus?
  • Wie fühlt es sich an, welche Konsistenz hat es?
  • Wie schmeckt es?

Stell Dir wirklich mit allen Sinnen vor, wie Du es verspeist. Wenn Du es riechst, kannst Du richtig kräftig schnuppern und wenn Du es schmeckst, langsame, genüssliche Kaubewegungen machen.

Aus dieser ganz klaren Vorstellung, und aus dem Genießen heraus, fange dann an, zu summen: „Hmmmm.“ Die Kaubewegung darf dabei ruhig weitergehen. Wenn Du magst, kannst Du auch einzelne Worte sprechen, zum Beispiel „Hmmmm, lecker,“ oder „Hmmmm, Erdbeeren.“

Dann halte inne und spüre nach: wie fühlen sich Mund, Kiefer, Rachen und Gesicht an? Wie fühlst Du Dich insgesamt? Wie hat sich das Sprechen angefühlt und wie klang es?

Genuss macht weit

Wahrscheinlich wirst Du bemerken, dass Deine Stimme ganz warm, weich und voll klingt, wenn Du so genießt. Das ist im Grunde das Gleiche, was auch dem Igel passiert. Ob der Wurm (oder die Erdbeere) wirklich da ist oder nur in Deiner Vorstellung, macht für das Gehirn gar nicht so viel Unterschied.

Es gibt aber noch einen Grund, warum leckeres Essen gut für die Stimme ist: Unser Mund-Rachen-Raum ist ganz urpsrünglich dazu da, dass wir Nahrung aufnehmen können. Erst danach entwickelte sich die Stimme.

Denkst Du an Dein Lieblingsgericht, richtet sich Dein Körper gleich darauf ein. Könnte ja sein, dass es wirklich in der Nähe ist! Er macht den Rachen also ganz weit, damit Du gut kauen, genießen und schlucken kannst. Ein bisschen unromantisch vielleicht, aber wirklungsvoll. Denn von der Weite und Lockerheit profitiert am Ende auch Deine Stimme.

Soll ich ein Video aufnehmen?

Vielleicht nehme ich Die Übung ja nochmal als Video auf. Dafür muss ich mich allerdings erstmal von meiner Erkältung erholen. Wenn Du ein Video interessant fändest, lass mir doch mal ein Zeichen in den Kommentaren da.

Ich hoffe, dieser Artikel konnte Dir einen kleinen Aha-Effekt verschaffen. Vielleicht musstest Du ja auch ein bisschen schmunzeln über meine wilde Igel-Mensch Parabel. Hihi, das würde mir auch ganz gut gefallen.

Alles Liebe
Paula

2 Kommentare

  1. Mim | still & sensibel

    Haha, ist das Igelvideo süß. 🙂

    Übrigens mag ich deine Igel-Mensch-Parabel. Steckt wieder sehr viel Interessantes in deinem Artikel.

    Übrigens fände ich ein Video mit der Übung cool, vorausgesetzt, du bist wieder gesund.

    Ganz liebe Grüße
    Mim

    Antworten
    • Paula

      Hallo Mim,

      das freut mich, dass Dir die Igel-Mensch-Parabel gefällt, und dass etwas Interessantes für Dich dabei war!

      Danke auch für Dein Feedback zum Thema Video. Dann nehme ich mir das mal vor. Erkältung ist erfolgreich überwunden 😊

      Liebe Grüße
      Paula

      Antworten

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