Dieser Beitrag ist von der Blogparade „Wie geht es dir wirklich“ von Annette Schade inspiriert. Sie ging zwar eigentlich nur bis zum 15. November, aber in den Tagen davor war ich krank. Das Thema hat mich bis jetzt nicht losgelassen, also habe ich beschlossen, einfach trotzdem darüber zu schreiben.
„Wie geht es Dir?“ – diese Frage ist nicht immer leicht zu beantworten. In der Formulierung von Annette, „wie geht es dir wirklich?“ klingt schon ein erstes Problem an: Wie viel gebe ich von mir preis? Bin ich ehrlich, auch wenn es mir nicht so gut geht? Als Introvertierte bin ich eher vorsichtig mit dem, was ich von mir zeige. Gleichzeitig ist es mir wichtig, ehrlich zu sein. Ein Spannungsfeld!
Als ich in Gedanken meine Erlebnisse mit der Frage „Wie geht es dir?“ durchging, stieß ich noch auf weitere Aspekte, die mir das Antworten (manchmal) schwierig machen. All dem möchte in diesem Artikel nachgehen.
Ja, wie geht es mir denn?
Die erste Schwierigkeit besteht für mich darin, erstmal vor mir selbst zu wissen, wie es mir geht, und das in Worte zu fassen. Ja, wirklich manchmal ist die einzige ehrliche Antwort auf diese Frage, „ich weiß es nicht“.
Gestern war wieder so ein Moment. Ich saß bei einer Freundin auf dem Sofa, wir hatten uns lange nicht gesehen und sie stellte die unvermeidliche Frage. In dem Moment ging es mir gut. Ich freute mich über das Wiedersehen, den warmen Tee vor meiner Nase und die Tatsache, dass ich es aus meinen vier Wändern heraus, aufs Rad und durch die Winterluft bis zur ihr aufs Sofa geschafft hatte. Das hätte ich natürlich genau so aussprechen können. Doch in dem Moment war das alles noch nicht so ausformuliert, da war einfach ein Gefühl: warm und freudig.
Aber war das alles? Reichte das? Wollte sie mit ihrer Frage nicht auch darauf hinaus, was bei mir im Moment so los ist, was mich die letzten Tage und Wochen bewegt hat und wie es mir insgesamt geht? Dieses „insgesamt“ fand ich irgendwie schwierig. Denn in diesem Moment war ich hier. Jetzt. Ich versuchte, meinen Blick auf die letzten Tage zu richten, und es gelang mir nicht. Es war, als wäre ich irgendwo in der Stadt um eine Ecke gebogen, und würde mich nochmal umdrehen. Der Ort, wo ich herkam, war nicht mehr sichtbar, er lag jetzt hinter den Häusern.
Und so war meine erste Antwort auf die Frage: „Jetzt in diesem Moment fühle ich mich wohl. Ansonsten weiß ich es gerade nicht.“ Und dann habe ich versucht, meiner Freundin das Konstrukt mit der Ecke zu erklären 😀
Kennst Du solche Momente, in denen Du nicht genau weißt, wie es Dir geht (oder wie Du es in Worte fassen sollst)?
Wie viel zeige ich von mir?
Das ist natürlich nicht immer so – manchmal weiß ich auch ziemlich genau, wie es mir geht. Besonders wenn es mir nicht so gut geht, ist die große Frage: sage ich das auch?
Annette spricht sich in ihrem Eingangsartikel dafür aus, dass wir einander sagen, wie es uns wirklich geht. Auch wenn das nicht „gut“ ist. Schließlich kann nicht immer alles schön und locker-flockig sein. Auch das Schwere darf Raum bekommen.
Einerseits bin ich da ganz bei ihr. Ich finde es wichtig, dass auch negativ konnotierte Gefühle wie Wut, Trauer oder Erschöpfung sein dürfen. Sie müssen gefühlt und verarbeitet werden. Und auch in der Kommunikation dürfen sie Thema sein.
Andererseits ist es mir wichtig, dass wir die Entscheidung der Sprechenden respektieren. Denn auch wenn ich eine Person gut kenne, weiß ich nicht, was gerade wirklich in ihr vorgeht – vielleicht wäre es zu schmerzhaft, gerade jetzt ehrlich darüber zu sprechen, wie es ihr geht. Vielleicht hat sie Angst, dass dann alles unkontrolliert aus ihr herausbricht, oder dass die Schwere des Themas uns beide nicht mehr loslässt.
Und wenn ich nicht alles preisgeben will?
Ich erinnere mich an eine Situation auf einer Veranstaltung. Ich gaube, es war ein Konzert in einer kleinen, sehr vollen Kneipe. Nach dem Konzert kämpfte ich mich durch die Menschenmenge nach draußen, wo ich eine Kollegin traf. Wir unterhielten uns kurz und auf ihre Frage, wie es mir gehe, sagte ich: „gut.“
Das Problem war: die vielen Menschen, die laute Musik und die Eindrücke hatten an meinen Energiereserven genagt. Ich war müde und wollte schnell nach Hause – das sah man mir anscheinend an. Ich sagte also, „gut“, sah dabei aber nicht besonders fröhlich aus, was meine Kollegin irritierte. Ihre Reaktion: „Wirklich? Du siehst aber gar nicht so aus.“
Wenn ich heute auf die Situation zurückblicke, ist mir ganz klar, was passiert ist: sie hatte die äußerlichen Anzeichen meiner Müdigkeit als Hinweis auf meine Gesamtverfassung gedeutet und mir das „gut“ nicht abgenommen. Wenn ich heute wieder in so eine Situation käme, würde ich genau das aufklären. Ich würde sagen, dass ich müde bin, weil mich die Veranstaltung angestrengt hat, und dass ich deshalb gerade nicht so enthusiastisch klinge.
Damals konnte ich das aber noch nicht so klar benennen. Die Situation war mir extrem unangenehm. Ich fühlte mich, als wäre ich auf frischer Tat beim Lügen ertappt worden und hätte mir gewünscht, dass die Kollegin meine Antwort einfach akzeptiert. Wir kannten uns schließlich nur flüchtig und es war eine kurze, zufällige Begegnung. Durchaus möglich, dass ich in diesem Rahmen gar nicht weiter in die Tiefe gehen wollte.
Der richtige Moment
Um sich mit einem negativen Gefühl oder einer schwierigen Lage verletzlich zu zeigen, braucht es Kraft, emotionale Kapazität und Vertrauen. Deshalb macht es einen großen Unterschied, wann, wo und von wem die Frage „Wie geht es dir?“ gestellt wird.
In meinem Beispiel oben war – zusätzlich zur Müdigkeit – der Rahmen nicht ideal für ein tiefes, vertrauensvolles Gespräch. Aber auch wenn die Bedingungen gut sind, brauche ich manchmal ein bisschen Zeit, um mich zu akklimatisieren und Vertrauen zu fassen.
Eine Freundin von mir hatte vor ein paar Jahren eine Angewohnheit. Immer wenn wir uns trafen, fragte sie sofort, wie es mir geht. Wirklich, das war das allererste, was sie tat, noch bevor sie ihre Schuhe oder ihre Jacke auszog. Manchmal war sie sogar noch im Treppenhaus, noch nicht ganz auf meinem Treppenabsatz angekommen. Und schon warf sie mir diese Frage entgegen: „Wie geht es Dir?“
Kannst Du Dir vorstellen, so ruckzuck, eigentlich noch bevor das Gespräch richtig angefangen hat, von Dir zu erzählen und Dich vertrauensvoll zu öffnen? Ich konnte das nicht und habe die Frage regelmäßig blockiert. Sie konnte das zum Glück gut annehmen und hat dann einfach später nochmal gefragt. Aber das Beispiel zeigt meiner Meinung nach sehr deutlich, dass es am Anfang eines Gesprächs – zumindest für mich – wichtig ist, erstmal eine angenehme und sichere Atmosphäre aufzubauen. Dann fällt es mir viel leichter, auf die Frage „Wie geht es Dir?“ offen und ehrlich zu antworten.
Wie viel Raum nehme ich ein?
Außerdem ist es mir wichtig, am Anfang eines Gesprächs nicht zu viel Raum einnehmen. Wenn ich gleich zu Beginn alles ganz ausführlich erzähle, befürchte ich, dass ein Ungleichgewicht entsteht. Deshalb erzähle ich auf das anfängliche „Wie geht´s Dir“ oft erstmal nur die Kurzversion. Dann gebe ich die Frage zurück, damit wir in einen angenehmen, ausgewogenen Wechsel kommen und uns unseren Themen langsam annähern können.
Der Wechsel hilft mir übrigens auch, im Verlauf des Gesprächs Vertrauen aufzubauen. Denn für mich fühlt es sich einfach viel sicherer an, etwas von mir zu zeigen, wenn ich merke, mein Gegenüber vertraut mir auch und gibt auch etwas von sich preis.
Außerdem kommen wir so in einen Autausch. Wir merken, wo vielleicht gemeinsame Erfahrungen sind, bei welchen Themen wir auf Verständnis hoffen können und was für die andere Person besonders interessant ist. Wir fangen an der Oberfläche an und gehen nach und nach, gemeinsam in die Tiefe.
Fazit
Ich wünsche mir, dass wir auf die Frage „Wie geht es Dir?“ ehrlich antworten können – wenn wir es wollen. Das bedeutet für mich,
- dass es auch ok ist, mit „ich weiß nicht“ zu antworten – oder bei dem wenigen anzusetzen, das Du weißt.
- dass es ok ist, wenn Du Dich entscheidest, nicht wahrheitsgemäß zu antworten.
- dass wir einander Zeit geben.
- dass wir beide offen zueinander sind und uns zuhören.
Wie denkst Du über die Frage „Wie geht es Dir“? Gibt es Momente, in denen sie Dich überfordert, so wie mich? Wann fällt es Dir leicht, wirklich offen und ehrlich darauf zu antworten?
Ich freue mich, wenn Du mir Deine Gedanken in einem Kommentar mitteilst.
Alles Liebe
Deine Paula
P. S. Bei der Blogparade von Annette sind noch viele weitere spannende Artikel entstanden. Drei davon möchte ich Dir gerne vorstellen:
Antje Spanier verrät in ihrem Artikel, dass sie die Frage „Wie geht es Dir?“ früher ganz furchtbar nervig fand. Heute sieht sie darin eine Chance, wirklich mit einem anderen Menschen in Kontakt zu kommen. Ihr Artikel heißt „Wie geht es Dir – Floskel oder Chance?“
Antje Remke schlägt vor, einfach nachzufragen: „Willst Du die kurze, lange oder mittellange Version hören?“ Eine großartige Idee, oder? Antjes Artikel heißt „Blogparade – Wie geht es Dir wirklich?“
Stefanie Wittiber-Schmidt läd in ihrem Artikel „Wie geht es Dir wirklich?“ dazu ein, uns öfter damit zu beschäftigen, wie es uns selbst eigentlich geht – nich nur mit dem Verstand, sondern auch körperlich. Dazu empfiehlt sie eine kleine, feine Übung, die Dir hilft, mit Deinem Felt Sense in Kontakt zu kommen. Spannend!
Liebe Paula,
vielen Dank für deinen Beitrag, öffnet er doch noch eine ganz andere Perspektive. Ich bin da ganz bei dir, wenn ich es auch einfach mal so stehen lassen kann, weil mir gerade etwas fehlt, warum ich nicht oder jetzt nicht antworten möchte.
Viele Grüße
Anette
Liebe Anette,
danke Dir für Dein Feedback und für den Impuls zum Schreiben!
Herzliche Grüße
Paula
Liebe Paula, ich kenne das so gut. Im Gespräch bin ich eingetaucht in den Moment, es geht mir gut, ich genieße den Kontakt, das Zusammensein und alles andere ist in weite Ferne gerückt. Das dann herzuholen, ist erstmal ein Angang. Es ist dann nicht sofort und klar in Worte zu fassen.
Ich finde mich mit meinem Empfinden in Deinem Artikel gut wieder. Wir scheinen da ähnlich gestrickt zu sein.
Und es freut mich sehr, dass Du mich verlinkt hast. Danke Dir und Alles Liebe!
Liebe Antje,
danke für Deine Rückmeldung!
Das finde ich ja spannend, dass es Dir auch so geht mit dem Im-Moment-Sein! Ich finde, Deine Formulierung trifft es ganz genau: alles andere ist in weite Ferne gerückt.
Ich freue mich, dass Du Dich in meinen Gedanken wiederfinden konnstest.
Viele liebe Grüße
Paula
Liebe Paula, Dein Blogartikel gefällt mir sehr gut: Deine persönlichen Beispiele ebenso wie die verschiedenen Blickwinkel, die du aufgegriffen hast: Die Frage nach dem richtigen Moment, ebenso die Frage, wieviel Raum ich mir nehme(n darf). Und dass es auch völlig in Ordnung ist, diese Frage mal nicht offen und ehrlich zu beantworten.
Danke sehr auch für’s Verlinken meines Artikels.
Gerne, liebe Stefanie, und danke für Dein Feedback 😊
Liebe Grüße
Paula