Ich bin Sprecherin und Sprechtrainerin und ich gehe zur Logopädie. Wenn ich das erzähle, ernte ich überraschte Blicke und Nachfragen. „Du? Das wusste ich ja gar nicht. Wieso denn?“
Wenn ich es erzähle. Denn ich überlege mir genau, wem ich es erzählen kann oder glaube erzählen zu können. Als Sprechprofi in Bezug auf die eigene Stimme Hilfe zu brauchen, ist mit Scham verbunden.
Dabei war die Entscheidung, zur Logopädie zu gehen, eine der besten, die ich 2024 getroffen habe. Es hat nicht nur meine Atem- und Sprechtechnik verbessert, sondern auch mein Selbstbewusstsein und die Beziehung zu meiner Stimme.
In diesem Artikel erzähle ich dir von meinen Beweggründen, eine logopädische Therapie zu beginnen, und den Veränderungen, die dadurch angestoßen wurden. Ich möchte offen sein, weil es auch mir geholfen hat, Kolleg*innen ganz offen von ihren Logopäd*innen sprechen zu hören.
Inspiriert wurde ich durch die Blogparade von Generose Sehr mit dem Titel „TABU-Talk: Über dieses Tabu möchte ich endlich offen reden“. Generose läd dazu ein, über Tabus zu sprechen und sich dadurch von ihnen zu befreien, und ich habe mich im allerletzten Moment entschlossen, dabei zu sein.
Die Entscheidung, mir Hilfe zu holen
Ich stehe seit vielen Jahren auf der Bühne und spreche. Das war schon im Studium so, und seitdem beziehe ich alles, was ich über Stimme und Sprechen lerne, auf die Bühne. Dieses Wissen habe ich mittlerweile verinnerlicht. Ich fühle mich sicher und empfinde die Bühne als einen Raum, in dem ich mich auf meine Stimme verlassen kann.
Anders war es, als ich anfing, Hörbücher im Studio einzusprechen. Das war auf vielen Ebenen eine Herausforderung für mich.
- Die schiere Menge an Text: Ein Hörbuch ist ein riesen Projekt, es braucht viele und lange Aufnahmesessions, um das zu schaffen.
- Die räumliche Situation: In einem kleinen, schallisolierten Raum passiert es leicht, dass die Stimme kleiner und leiser wird. Die Bühne läd mich dagegen auch körperlich zu Weite und Offenheit ein.
- Der Kontakt zu den Hörer*innen: er gestaltet sich im Studio ganz anders als auf der Bühne, denn das Publikum ist nicht da. Ich spreche auf eine Wand und kann mir nur vorstellen, dass da jemand ist.
Bei meinen ersten längeren Studio-Aufnahmen wurde ich heiser. Ich kam an, wärmte mich auf und begann mit einer freien und klangvollen Stimme, aber die konnte ich nicht lange halten. Mit jedem Kapitel verlor ich an Klang und bekam ein unangenehmes Anstrengungsgefühl im Hals.
Anfangs dachte ich, dass ich mich einfach nur daran gewöhnen muss. Ich achtete darauf, mich gut aufzuwärmen und nicht zu lange zu machen. Das Anstrengungsgefühl nahm ich erstmal einfach als Signal: „Reicht für heute.“
Aber am Ende meines ersten Hörbuchs war es immer noch so. Die Aufnahmen gingen gut los, und dann wurde es von Kapitel zu Kapitel anstrengender. Das frustrierte mich. Ich konnte es mir nicht erklären, denn für mein Gefühl machte ich alles so, wie ich es gelernt hatte. Und es machte mir Angst, denn so, dachte ich, würde ich nie die branchenüblichen 6-Stunden-Aufnahmetage durchhalten.
Als das Anstrengungsgefühl schließlich auch in anderen Situationen auftrat, beschloss ich, zum Arzt zu gehen. Ich machte einen Termin bei meinem Phoniater (ein HNO-Arzt mit Spezialisierung für die Stimme), schilderte mein Problem und ließ mich untersuchen. Und ich äußerte meinen Wunsch nach einer logopädischen Therapie.
Kriege ich überhaupt Logopädie?
Das war für mich mit einer Befürchtung verbunden: Kriege ich Logopädie, wenn ich stimmlich gesund bin und in den Tests vermutlich erstmal alles gut umsetzen kann? Schließlich komme ich im Alltag (meistens) super klar und kann auch auf der Bühne gut sprechen.
Ich habe die Erfahrung schon einmal gemacht, keine Logopädie zu bekommen. Auch da stand ich vor einer neuen sprecherischen Herausforderung (Gästeführungen im Freien geben, bis zu 6 Stunden am Tag) und hatte dieses Anstrengungsgefühl. In den logopädisches Tests (sprechen, singen und rufen mit einem speziellen Mikrofon) klang aber alles super. Mir wurde eine gesunde Stimme bescheinigt und kein Therapiebedarf.
Diesmal war es anders. Mein Phoniater konnte mit seiner Kamera sehen, dass mein Kehlkopf beim Sprechen eng wurde. Die Muskeln drumherum waren etwas zu stark gespannt. Die logopädischen Tests ergaben einen ähnlichen Befund: eine leichte, hörbare Anspannung in der Stimme.
Mein Phoniater meinte, bei anderen Patient*innen würde er sich da noch keine Sorgen machen. Aber angesichts meines Berufs sei es absolut sinnvoll, mich mit einer logopädischen Therapie zu unterstützen.
Ich weiß nicht, ob es für dich nachvollziehbar ist, aber für mich war das eine große Erleichterung. Ich hatte mich monatelang alleine mit meinem Problem herumgeschlagen. Hatte versucht, selbst eine Lösung zu finden und irgendwie auch den Anspruch an mich gehabt. Als Sprecherzieherin hätte mir das doch gelingen müssen, dachte ich.
Deshalb war es eine Überwindung, mich schließlich an meinen Phoniater zu wenden. Aber durch seine Rückmeldung fühlte ich mich gesehen und wertgeschätzt. „Jetzt bekomme ich Hilfe!“ – Das war mein erster Gedanke, als ich die Praxis verließ.
Was die Logopädie für mich verändert hat
Dann begann die funktionale Stimmtherapie bei meiner Logopädin. Anfangs war es ungewohnt, mich auf ihre Anleitung einzulassen, aber mittlerweile vertraue ich ihr vollkommen.
Nach 10 Einheiten sind meine Schwierigkeiten beim Aufnehmen zwar noch nicht komplett weg, aber ich verstehe sie sehr viel besser und weiß, wie ich ihnen begegnen kann. 5 Einheiten liegen noch vor mir. Jetzt geht es vor allem um den Transfer in den Alltag.
Meine 3 wichtigsten Erkenntnisse möchte ich im Folgenden mit dir teilen.
Richtig atmen oder „Ach, so fühlt sich das an!“
Die wichtigste Erkenntnis war wohl, dass ich falsch geatmet habe.
Meine Sprechbögen waren einen Tick zu lang, sodass das Einatmen mit einem kleinen, hörbaren „Einziehen“ von Luft verbunden war. Auf diese Weise konnte sich mein Stimmapparat nach einer Phrase oder einem gesprochenen Gedanken nicht entspannen. Die Anspannung wurde langsam immer größer, bis ich es spüren und auf den Aufnahmen hören konnte.
Als wir an der „Reflektorischen Atemergänzung“ arbeiteten, einer Technik, die eine mühelose und stimmschonende Sprechatmung ermöglicht, hatte ich ein Aha-Erlebnis. Ich konnte spüren, wie mein Bauch beim Einatmen ganz von alleine kraftvoll nach außen drängte. Das fühlte sich gut an, leicht und mühelos und… anders als bisher.
Das war der springende Punkt: Ich ging davon aus, dass ich die Reflektorische Atemergänzung schon die ganze Zeit nutzte. Ich hatte sie in der Ausbildung gelernt, ich arbeitete damit, aber irgendwie hatte ich vergessen, wie es sich anfühlt, wenn sie wirklich funktioniert.
Als ich anfing, meine Atmung zu verändern, kürzere Bögen zu sprechen und in den Pausen die Spannung wirklich zu lösen, merkte ich, wie gut es meiner Stimme tut. Insofern war das eine schmerzhafte, aber absolut wichtige Erkenntnis für mich.
Spannung im Kiefer
Dieses Lösen der Spannung in den Atempausen ist idealerweise auch mit einem Loslassen im Kiefer verbunden. Kiefer, Kehlkopf und Zwerchfell sind in ihrer Funktion nämlich eng miteinander verbunden. Auch hier musste ich feststellen: Mein Kiefer blieb fest.
Da war ordentlich Spannung im Kiefer. Spannung, die ich mir in den letzten Jahren angeeignet hatte, denn die Kiefermuskulatur reagiert in besonderem Maße auf Stress und innere Anspannung. Es ist wie ein Schutzreflex: „Zähne zusammenbeißen!“
Das kannte ich so nicht von mir. Ich brauchte die Rückmeldung meiner Logopädin, um es zu erkennen. Gleichzeitig wundert es mich nicht wirklich, wenn ich auf die letzten Jahre zurückblicke – mit dem Start in die Selbstständigkeit, den Veränderungen und Unsicherheiten, die damit einhergehen.
Meine Stimmlage (wieder)finden
Wenn ich mit meiner Logopädin im Gespräch bin, spreche ich in meiner physiologischen Sprechstimmlage. Aber bei den Übungen kam es vor, dass sie überrascht war: Ich setzte meinen Übungston ein ganzes Stück tiefer an. Warum?
Hm, erstmal eine spannende Beobachtung. Ich mochte diesen tiefen Ton. Er fühlte sich gut an, entspannt und resonanzreich – ich konnte seine Vibration im Körper spüren. Bisher war ich davon ausgegangen, dass das „mein“ Ton war. Und ich hätte gedacht, dass ich ihn auch beim Sprechen nutzte. Zumindest auf der Bühne.
Wir haben dann ein paar Experimente gemacht, um rauszukriegen, welche Sprechstimmlage ich in verschiedenen Situationen wähle: Als Workshopleiterin, auf der Bühne, im Studio. Ich habe gesprochen und mir die jeweilige Situation vorgestellt, meine Logopädin hat genau auf meine Stimmlage geachtet.
Die änderte sich in Workshop- und Bühnensituationen spannenderweise nicht. Mein Stimmumfang wurde zwar größer und das Timbre (die Klangfarbe) variierte, aber die mittlere Sprechstimmlage war genau so, wie im freien Gespräch.
Im Studio war es anders. Da sprach ich plötzlich einen ganzen Ton tiefer, unterhalb meiner physiologischen Sprechstimmlage. Huch! Kein Wunder, dass es mir nicht möglich war, das über längere Zeit entspannt durchzuhalten.
Aber wieso setzte ich meine Stimme im Studio tiefer an?
Ich glaube, es lag daran, dass ich dort, in meiner Rolle als Sprecherin, noch neu und unsicher war – auf der Suche nach meiner Stimme, sozusagen. Anders als auf der Bühne.
Die Vorstellung, dass meine Stimme auf der Aufnahme fixiert war und von ich-weiß-nicht-wie-vielen-Leuten angehört werden könnte, erzeugte Druck. Ich wollte es besonders gut machen.
Und irgendwo in meinem Unbewussten hatte ich (m)eine tiefe Stimme als Ideal abgespeichert. Ich verband sie mit Sicherheit, Selbstbewusstsein und Kompetenz. Es war meine Sicherheits-Stimme, und ich wählte sie in einer für mich noch unsicheren Situation.
Das zu ergründen, war vor allem eine innere Reise für mich. Als ich es kapiert hatte, konnte ich die tiefe Stimme ganz einfach loslassen.
Schlusswort
Das waren die 3 größten Themen, an denen ich mit meiner Logopädin gearbeitet habe. Hinzu kommen viele kleinere, hilfreiche Beobachtungen und ein paar innere Themen, die ich hier nicht besprechen möchte.
Diese Entwicklungen wurden durch die Rückmeldung und Begleitung meiner Logopädin ermöglicht. Denn, auch wenn man eine Ausbildung hat oder einen großen Erfahrungsschatz: Etwas bei anderen zu bemerken ist etwas anderes, als es bei sich selbst zu bemerken. Andere anleiten und die richtigen Übungen finden ist etwas anderes als sich selbst anleiten.
Mir tut es jedenfalls gut, mich von meinem „Profi-Panzer“ zu befreien und mir Unterstützung zu holen. Es hat dazu geführt, dass ich wieder mit Freude und Selbstbewusstsein ins Studio fahre!
Und nun bin ich gespannt, wie du über das Thema denkst und welche Erfahrungen du gemacht hast.
Hallo liebe Paula,
als ich deinen Newsletter zu diesem Blogartikel neulich bekommen habe, wusste ich sofort: Wow, DAS muss ich lesen!!!
Super spannend, was du berichtest!
Ich finde es wahnsinnig mutig, dass du diesen ehrlichen und offenen Schritt mit diesem Blogartikel gewagt hast. Ich bin mir sicher, dass du damit anderen Sprecher*innen, die ebenfalls in logopädischer Behandlung sind, einen großen Gefallen getan hast, indem du das Schweigen gebrochen hast. Das wagen sicher nicht viele! Hut ab!
Ich musste bei dem Thema unweigerlich an Psychotheraupeut*innen denken, die selbst psychotherapeutische Behandlung brauchten oder brauchen. Diese Leute werden so oft vorschnell verurteilt und als „zu schwach für ihren Beruf“ dargestellt. Dabei ist es doch gerade unglaublich STARK, sich Hilfe zu suchen. Und insbesondere diese Psychotherapeut*innen, die SELBST wissen, wie es sich anfühlt, psychische Probleme oder Erkrankungen zu haben (und nicht nur an der Uni die Theorie dazu gelernt haben), können doch umso besser und einfühlsamer auf ihre (späteren) Patient*innen eingehen.
Ähnlich sehe ich das bei dir. Gerade weil du dir Hilfe geholt hast, kannst du später deinen Kund*innen mit genau solchen Problemen weiterhelfen oder dich zumindest viel besser in sie hineinversetzen. Insofern halte ich das eher für einen wertvollen Zugewinn an Erfahrung, als für etwas, für das man sich schämen müsste.
Und Leute, die das verurteilen, sind doof. Punkt. 😜
Ganz liebe Grüße
Mim ✌️
Liebe Mim,
danke sehr! Es ist schön, dass du den Entschluss, darüber zu schreiben so feierst 🙂
Ich sehe es auch so. Es war eine durch und durch gute und wichtige Erfahrung, mir Hilfe zu holen, und es hat eine Entwicklung angestoßen, die sowohl das Sprechen als auch das Unterrichten beeinflusst. Ich möchte, was das angeht, einfach offen sein und darüber sprechen. Und ja, ich glaube schon, dass man das auch auf andere Bereiche übertragen kann. Die Abwertung von Personen, die sich – in ihrer eigenen Disziplin – Hilfe holen, ist vielleicht auch nur ein Ausdruck von Konkurrenz und Unsicherheit… denn wenn man es mal ganz rational betrachtet… dann verstehe ich wirklich nicht, was dagegen sprechen sollte!
Und ich glaube, wenn ich diesen Artikel nicht geschrieben und veröffentlich hätte, könnte ich das nicht so enschlossen sagen. Das war irgendwie auch auf ne Art ein Befreiungsprozess. Glaube ich.
Alles Liebe. Wir hören uns bald!
Paula
Liebe Paula, ich danke dir so sehr für diese Schilderungen und deine Offenheit. Ja, ich kenne dieses Gefühl von mir selbst, wenn ich nach einem langen Arbeitstag plötzlich merke, dass meine Stimme angeschlagen ist. Und automatisch kommt der Gedanke: na, du hast du alles Handwerkszeug. Das wirst du doch wohl schaffen.
Ich finde es sehr ermutigend, dass du deine Reise so offen beschreibst. Für mich fühlt es sich so an, als wäre ich ein Stück näher dran, mir früher Hilfe zu holen, wenn ich sie dann mal brauchen sollte!
Danke! Und danke, dass du dich so kurz vor Schluss noch entschieden hast, mit diesem Thema an meiner Blogparade teilzunehmen!
Alles Liebe, Generose
Liebe Generose,
danke dir für deine Rückmeldung. Das freut mich sehr, dass du dich näher am Hilfe holen fühlst – ich hoffe sehr, dass es anderen auch so geht 🙂
Und danke für den Anstoß, den du mir durch die Blogparade gegeben hast! Beim Schreiben war es erst ganz leicht, aber als der Artikel dann veröffentlicht war, kamen nochmal alle Zweifel zurück. Jetzt bin ich aber froh, dass ich darüber geschrieben hab, und es fühlt sich so langsam wieder etwas entspannter an 🙂
Liebe Grüße
Paula