Dieser Artikel ist an die 3. Folge des Herz und Zunge Podcasts angelehnt, den ich gemeinsam mit Lena Bodenstedt hoste.
Eigentlich geht das Sprichwort natürlich anders: „Reden ist Silber. Schweigen ist Gold.“ Aber ich habe vor einiger Zeit diese Postkarte gefunden, und wenn ich da draufschaue, lese ich immer erstmal „Reden ist Schweigen. Silber ist Gold.“ Irgendwie mag ich diesen Effekt. Er hat mich dazu angeregt, noch einmal genauer über das Sprichwort nachzudenken.
In unserer dritten Herz & Zunge Podcastfolge nehmen Lena und ich das Sprichwort als Ausgangspunkt. Wir denken gemeinsam darüber nach, was es bedeutet, in einem Gespräch viel oder wenig zu reden. Und wir zeigen Dir Strategien, um für Ausgleich zu sorgen, wenn zwischen Redenden und Schweigenden ein Ungleichgewicht entsteht.
Du magst lieber hören als lesen? Hier kommst du zur Podcastfolge.
Schweigen ist Gold? Ja und nein. – So denken wir über das Sprichwort
Auf der einen Seite halten wir Schweigen für etwas Wertvolles. Gerade für uns Introvertierte ist die Stille ein Lebenselixier. Wir brauchen sie, um in Ruhe nachzudenken und uns zu erholen.
Im Gespräch sind diejenigen, die schweigen, oft gute Zuhörer*innen. Sie setzen nicht gleich bei sich an, sondern schauen erstmal, welche Gedanken im Raum stehen. So bekommen sie vieles mit: Sie erfassen feine Stimmungen und Nuancen, lesen zwischen den Zeilen. Dann verarbeiten sie die Information und setzen sie mit ihren eigenen Gedanken in Beziehung. Dieses genaue Zuhören und Mitdenken ist eine große Stärke von uns Introvertierten, eine stille Stärke. Unsere Beiträge bekommen dadurch Substanz und Tiefe.
Trotzdem bereitet mir dieses Sprichwort auch Unbehagen. Ich habe das Gefühl, eine Botschaft herauszuhören, die nicht gerade wohlwollend ist: „Sei bescheiden und gehorsam. Kontrolliere Deine Impulse und stelle Deine eigenen Wünsche zurück.“ Eine Botschaft, die historisch besonders Frauen zu hören bekamen (1), und die auch heute noch nachwirkt (2). Darauf habe ich überhaupt keine Lust, im Gegenteil! Mit meiner Arbeit möchte ich stillen und zurückhaltenden Menschen Mut machen, ihre eigenen Wünsche ernst zu nehmen und darüber zu sprechen.
Wie wirken Menschen, die viel bzw. wenig reden?
Ob Reden oder Schweigen „besser“ ist, kann man natürlich nicht so allgemein sagen. Beides ist wichtig und darf geübt werden. Lena und ich wollen uns dem Thema annähern und fragen uns als erstes, welche Wirkung es auf ein Gespräch hat, wenn jemand viel bzw. wenig redet.
Wer viel redet,
- nimmt Raum ein,
- steuert das Gespräch und setzt eigene Themen,
- entwickelt seine Gedanken beim Reden und bekommt Klarheit (etwas, das viele Introvertierte vom Schreiben kennen),
- zeigt sich, holt sich Feedback, vielleicht auch Anerkennung von außen, erfährt aber sonst eher wenig über die Gesprächspartner*innen,
- redet in manchen Fällen nur, um sich Raum zu nehmen, ohne wirklich etwas spannendes zu sagen.
Wer wenig redet,
- hört zu, beobachtet, denkt nach – schafft sich Klarheit im Stillen
- gibt anderen Raum und zeigt Wertschätzung
- kann überhört werden und bekommt oftmals weniger Wertschätzung.
Reden ermöglicht Einfluss
In dieser Gegenüberstellung stecken zwei interessante Erkenntnisse: auf der einen Seite hat es mir meiner Persönlichkeit zu tun, ob ich einfach drauflosrede und dabei Klarheit finde, oder ob ich erstmal zuhöre und alles in Ruhe für mich durchdenke. Auf der anderen Seite ist mit dem Reden aber auch Einflussnehmen verbunden. Je mehr jemand redet, desto mehr Gelegenheiten hat diese Person, ihre eigenen Themen zu etablieren und das Gespräch zu steuern.
Hier verbirgt sich eine Gefahr für Zurückhaltende: wer wenig spricht, hat es oft schwerer, Gehör zu finden. Kurze, leise und durchdachte Beiträge bekommen weniger Aufmerksamkeit als laute und ausschweifende. So können richtig gute Ideen verlorengehen, und das Gespräch wird definitiv unausgewogen. Wir gehen später noch darauf ein, wie beide Seiten in so einem Augenblick gegensteuern können.
Je nach Situation verhalten wir uns anders
Übrigens geht es uns nicht darum, alle Menschen eindeutig in eine der beiden Schubladen einzuordnen. Im Gegenteil: oft verhalten wir uns je nach Situation ganz unterschiedlich. Lena erzählt zum Beispiel, dass es ihr als Seminarleiterin Spaß macht, viel zu reden, während sie als Teilnehmerin eher zurückhaltend ist. Ich beteilige mich als Seminarteilnehmerin gerne und viel, kann aber in einer Gruppe Freund*innen sehr still sein.
Daran sieht man auch: viel oder wenig reden sind keine feststehenden Eigenschaften, sondern Verhaltensweisen, die je nach Kontext, Erfahrung und persönlicher Neigung zum Vorschein kommen.
Auch Schweigen kann machtvoll sein
Und manchmal kann Schweigen auch wirklich machtvoll sein. Die Anfangsszene des Films „Der Pate“ zeigt so einen Moment. Man sieht einen Mann, der redet. Er erzählt von seiner Tochter und was ihr passiert ist. Erst nach einer Weile bekommt man mit, dass ihm jemand zuhört: der Mafiaboss Don Vito Corleone, von dem in diesem Moment alles abhängt. Er sitzt in seinem Stuhl und streichelt seine Katze, während er den Bittsteller lange zappeln lässt. Es ist ein Machtspiel, das den hohen Status des Paten untermauert und festigt.
Äußere Einflüsse auf die Redeanteile in Gesprächen?
Die konkrete Situation hat also Auswirkungen darauf, ob wir reden oder schweigen. Soziale Rollen und Machtverhältnisse spielen eine Rolle, aber auch wie Du Deine eigene Rolle gestaltest. Lena und ich spielen in der Folge ein paar Beispiele durch, um diesen Faktoren auf die Schliche zu kommen.
Status und Redezeit hängen zusammen
Dabei wird deutlich: der soziale Status, also die Position, die man in einer sozialen Hierarchie einnimmt, beeinflusst, wie viel Redezeit wir einander zugestehen.
In einer symmetrischen Kommunikation – mit zwei gleichberechtigten Partner*innen – erwarten wir, dass beide Seiten die Möglichkeit haben, zu sprechen und sich zu zeigen. Das muss nicht genau gleich viel sein, aber die Möglichkeit sollte für beide gleichermaßen bestehen.
Hat eine Person einen höheren Status – zum Beispiel aufgrund ihrer Rolle als Chef*in, ihres Wissens, ihres Alters etc. – darf sie mehr sprechen und trifft auch mehr Entscheidungen über den Verlauf des Gesprächs. Sie nimmt mehr Einfluss.
Das heißt aber nicht, dass ein höherer Status mit der Verpflichtung einhergeht, immerzu zu reden. Für introvertierte Führungskräfte wäre das eine schlechte Nachricht. Natürlich kommt mit der Führungsverantwortung die Aufgabe, Gespräche zu gestalten. Selbst viel zu sprechen, ist aber nur eine von vielen Strategien, um das zu tun 🙂
Geschlechterrollen: „weibliche“ Zurückhaltung und „männliche“ Dominanz?
Auch die traditionellen Geschlechterrollen beeinflussen, wie viel wir sprechen. Es gibt ja so ein Klischee, Frauen würden immer viel quatschen. Studien zeigen aber, dass es im Arbeitskontext oft andersherum ist: In Gruppen, die aus Menschen mit verschiedenen Geschlechtern bestehen, reden Männer mehr, sie steuern das Gespräch stärker und auf andere Weise.
Männer dominieren zum Beispiel Gespräche, indem sie entscheiden, welche Themen weiter behandelt werden. Wenn sie ein Thema nicht interessiert, gehen sie einfach nicht darauf ein. Sie lassen sich nicht unterbrechen und unterstützen seltener die Themen ihrer Gesprächspartner*innen. Im direkten Vergleich bringen sie weniger neue Themen ein als Frauen. Diese werden aber fast immer aufgegriffen.
Frauen bringen dagegen viele neue Themen ein, davon wird aber weniger als die Hälfte aufgegriffen. Sie unterstützen auch häufiger Themen, die nicht von ihnen selber kommen, indem sie darauf eingehen, nachfragen, Stellung beziehen usw.
So kommt es insgesamt zu der Dynamik, dass die Themen, die von Männern eingebracht wurden, im Gespräch bleiben, während die von Frauen „hinten runter fallen“ (3). Diesem Problem begegnen aber nicht nur Frauen, sondern alle Menschen, die in einer konkurrenzorientierten Umgebung arbeiten und sich mit dem entsprechenden Kommunikations- und Führungsstil nicht identifizieren können.
Festhalten können wir: Status und soziale Rollen beeinflussen nicht nur, wie viel jemand redet, sondern auch, wie viel Gehör die Person bekommt.
Wann fühlen wir uns in Gesprächen (un)wohl?
Aber zurück zu unseren ganz persönlichen Erfahrungen mit Gesprächen. Wohl fühlen wir uns in Gesprächen, in denen sich alle beteiligen können, wenn sie es wollen. In denen das Interesse am Thema allen gemeinsam ist, und in denen Respekt und Offenheit gelebt werden.
Unwohl fühlen wir uns dagegen, …
- wenn der Kampf um das Rederecht so anstrengend ist, dass man es lieber gleich lässt. Oder wenn man es versucht, aber nicht gehört wird.
- wenn jemand sehr lange redet, aber nicht bereit ist, anderen zuzuhören.
- wenn die Gesprächspartner*innen sich oft gegenseitig unterbrechen. Besonders, wenn durch Unterbrechungen immer dieselben reden.
- wenn eine Gruppe kein Interesse daran zeigt, auch stilleren Mitgliedern zuzuhören.
- wenn die Gesprächsthemen nur einen Teil der Gruppe interessieren.
- wenn jemand gezwungen wird, zu reden (oder zu schweigen).
Wie Du siehst, zählen wir uns eher nicht zu denen, die ganz viel reden. Außerdem sind uns Respekt und Selbstbestimmung wichtig. All diese Situationen haben aber gemeinsam, dass man nicht wirklich frei darüber entscheiden kann, ob man redet, bzw zuhört. Dadurch verschiebt sich die Balance des Gesprächs, und die Beteiligten begegnen sich nicht mehr wirklich auf einer Ebene. Aber was kann man da tun?
Was mache ich als ruhiger Mensch, der mehr gehört werden will?
Als Beispiel nehmen wir ein lebhaftes Gespräch unter mehreren Freund*innen. Nehmen wir an, ich möchte mich einbringen, komme aber nicht dazwischen. Was mache ich da?
1. Der erste Schritt ist immer wahrnehment: „Ich fühle mich unwohl.“ Dann kannst Du Dich fragen, warum das so ist. Was ist genau passiert, was Dich stört? Und was fehlt Dir?
2. Der zweite Schritt ist, Dich nicht entmutigen zu lassen. Dass Du nicht dazwischen kommst, sagt rein gar nichts über den Wert Deiner Gedanken aus. Du bist vermutlich einfach nicht so laut und forsch wie die anderen, oder sie sind gerade sehr leidenschaftlich vertieft. Trotz alledem: Deine Gedanken sind es wert, gehört zu werden!
3. Manchmal ist es hilfreich, Dir Verbündete zu suchen. Nimm Blickkontakt zu einer vertrauten Person auf oder sprich sie an. Lass sie wissen, wie es Dir gerade geht. Dann bist Du nicht mehr allein mit der Situation, und Du wirst wieder handlungsfähig. Wenn Du magst, sag Deinen Gedanken, den Du in der Runde gerne geäußert hättest, Deiner Verbündeten.
4. Wenn Du gerade mitten im Gruppengespräch bist und JETZT etwas sagen möchtest: mach Dich bemerkbar. Hier sind ein paar Strategien, um die Aufmerksamkeit der anderen zu bekommen:
- Sprich möglichst deutlich und schau die anderen direkt an. Nimm Blickkontakt auf, bevor Du beginnst zu sprechen.
- Richte Dich auf und wende Dich den anderen zu. So vergrößerst Du Deinen Raum und zeigst, dass Du ihnen etwas sagen möchtest.
- Wenn Du magst, erlaube Dir Gesten. Auch sie zeigen: hier denkt jemand mit und möchte etwas sagen.
- Baue eine Brücke zu dem, was bereits gesagt wurde. Greife einen Punkt auf, der eben genannt wurde und knüpfe daran an.
- Wenn Du beim ersten Mal nicht durchkommst, setze nochmal an. In einem angeregten Gespräch braucht es manchmal mehrere Anläufe.
- Sprich die Person, die nicht aufhört zu reden, mit ihrem Namen an. Notfalls mehrmals.
- Bitte die anderen, Dir zuzuhören. Sag notfalls „Halt Stopp! Ich möchte auch etwas sagen!“
- Schreib Dir Deinen Gedanken (oder ein Stichwort dazu) auf. Mir hilft das, Mut zu fassen. Wenn es jetzt nicht passt, kannst Du außerdem später darauf zurückkommen.
Was mache ich als Mensch, der gerne und viel redet, aber trotzdem ein ausgeglichenes Gespräch haben will?
Du redest gerne, möchtest aber auch, dass sich alle einbringen können? Wertschätzung und ein gutes Gesprächsklima sind Dir wichtig? Super! Dann kannst Du folgende Tipps beachten:
1. Auch hier beginnt es mir Deiner Wahrnehmung. Tritt innerlich einen Schritt zurück und schau Dir das Gespräch an:
- Wer redet gerade?
- Sind die Redeanteile gleichmäßig verteilt?
- Gibt es jemanden, der noch gar nicht zu Wort kam?
Gewöhne Dir an, diese Dinge zu reflektieren, und sprich auch mit anderen darüber. Das Ziel ist nicht unbedingt, dass alle genau gleich viel reden, sondern dass ein gemeinsamer Denkprozess entsteht, an dem sich alle beteiligen können.
2. Manchen eher zurückhaltenden Menschen hilft es, wenn Du sie direkt ansprichst:
- „Wie siehst Du das?“
- „Hast Du eine Idee, was wir da machen könnten?“
- „Wie denkst Du darüber?“
Bitte achte aber darauf, dass Du sie nicht unter Druck setzt. Nichts ist schlimmer, als vorgeworfen zu bekommen, dass man zu wenig gesagt hätte!
3. Gib Deinen Gesprächspartner*innen Zeit, um zu antworten. Mach Dir bewusst, dass manche vielleicht einen Moment länger über ihre Antworten nachdenken wollen. Wenn Du eine Frage stellst, warte auf jeden Fall die Antworten ab, bevor Du selbst weitersprichst.
Wie kann ich anderen helfen, zu Wort zu kommen?
Vielleicht kommt es auch vor, dass Du bei einem Gespräch dabei bist, und selbst ganz gut darin klar kommst. Du kannst sowohl reden als auch zuhören, wenn Dir danach ist, aber Du bemerkst, dass die Balance für jemand anders gerade nicht stimmt.
Ich persönlich habe ein paar Situationen erlebt, in denen ich nicht dazwischen kam und sehr dankbar war, wenn das jemand anderes bemerkt und sich eingemischt hat. Diese Einmischungen waren meist ganz konkrete Hinweise: „Moment bitte, Paula wollte auch noch was dazu sagen.“ Manchmal lief es aber auch so, dass mein Beitrag noch einmal laut wiederholt wurde, damit ihn alle mitbekommen.
Ich persönlich freue mich über solche Interventionen. Sie machen mir das Gespräch leichter und geben mir das Gefühl, dass mein Beitrag geschätzt wird.
Aber: es ist immer noch eine Einmischung, und es könnte theoretisch auch sein, dass jemand keine Hilfe möchte. Oder dass jemand Stilles gerade nichts sagen will. Oder dass jemand Lautes es sehr nervig findet, gebremst zu werden. Taste Dich also ran und sei nicht böse, wenn Du merkst, dass jemand keine Einmischung möchte.
Fazit
Drei Impulse halten Lena und ich am Ende der Folge fest:
- Sorge bewusst für die Balance zwischen Reden und Schweigen. Alle sollen die Chance haben, ihre Gedanken einzubringen und gehört zu werden.
- Lass das Gespräch zu einem gemeinsamen Denkprozess werden.
- Sei mutig und übernimm die Verantwortung für Deine Ideen. Nimm sie wichtig und sorge dafür, dass sie gehört werden.
Für mich war es gar nicht so einfach, die Inhalte dieser Folge so aufzuschreiben, immerhin ist sie vor über einem Jahr erschienen. Inzwischen hätte ich gerne etwas andere Schwerpunkte gesetzt. Ich nehme das einfach zum Anlass, noch weitere Artikel zu schreiben, damit ich das Thema noch vertiefen kann 🙂
Wie geht es Dir mit dem Thema viel/wenig reden? Kannst Du mein gemischtes Gefühl zum Sprichwort nachvollziehen? Ich freue mich immer über Dein Feedback!
Alles Liebe
Paula
Literaturhinweise
(1)
(2) Mary Beard, „Frauen und Macht“
(3) Waltraud u. Dieter W. Allhoff, „Rhetorik & Kommunikation“
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