Wohin mit meinen Händen? – Herz & Zunge Folge #008

von | Mai 18, 2022 | Herz & Zunge, Bühne, Vortrag, Text | 0 Kommentare

Dieser Artikel ist in Anlehnung an die 8. Folge des Herz & Zunge Podcasts entstanden, den ich gemeinsam mit Lena Bodenstedt hoste.

Hattest du schonmal einen Moment, in dem dir die Hände auf einmal hyperbewusst waren? Du wolltest etwas sagen, vielleicht waren ein paar Augenpaare auf dich gerichtet, und auf einmal waren sie da. Diese Hände.

Was mach ich denn jetzt mit denen?

Mit diesem Gefühl bist du nicht alleine. In meinen Rhetorikkursen wurde ich ganz oft danach gefragt. Die Teilnehmenden wünschten sich eine klare, eindeutige Antwort, damit sie in aufregenden Situationen nicht mehr so viel über ihre Hände nachdenken mussten. Sie wünschten sich Sicherheit, damit sie sich auf ihr eigentliches Thema konzentrieren konnten.

Diesen Wunsch kann ich sehr gut nachvollziehen. Und im Grunde ist das genau mein Ziel: dass du dich beim Sprechen sicher fühlst, und dass du mutig, gelassen und wirkungsvoll für deine Ziele eintreten kannst. Genau darum geht es in meiner Arbeit.

Deine persönliche Antwort auf die Frage „Wohin mit meinen Händen?“

Was ich dir nicht bieten kann: die eine richtige Lösung, die für alle passt. Wir sind so unterschiedlich in unserer Persönlichkeit und unserem Stil, dass es schlichtweg nicht funktionieren würde, wenn wir alle die gleichen Gesten benutzen. Noch dazu sind wir in vielen verschiedenen Rollen und Situationen unterwegs. Es kommt also darauf an, etwas zu finden, was zu dir und deinen Sprechsituationen passt. Deine ganz persönliche Antwort auf die Frage „Wohin mit meinen Händen?“.

Mit diesem Artikel und mit der dazugehörigen Podcastfolge möchte ich dir helfen, diese Antwort zu finden.

Wo kommen deine Hände zur Ruhe?

Beim Sprechen ist es ja nicht so, dass wir die Hände die ganze Zeit in derselben Position haben. Wir gestikulieren, zeigen etwas, arbeiten vielleicht auch mit Laserpointern oder Karteikarten. Da haben die Hände einiges zu tun. Schwierig sind vor allem die Momente, in denen sie nichts zu tun haben. Wo kommen sie dann zur Ruhe? In diesen Momenten ist es hilfreich, wenn du eine oder mehrere Ruhepositionen kennst, mit denen du dich wohlfühlst.

Ruhepositionen sind zum Beispiel:

  • eine oder beide Hände in die Hosentaschen stecken
  • die Hände locker aneinanderlegen
  • die Hände seitlich am Körper hängenlassen
  • die Hände in die Hüfte stemmen
  • einen Gegenstand halten

Um Dir die Entscheidung zu erleichtern, gehen wir die verschiedenen Möglichkeiten einfach mal durch und schauen uns an, was dafür oder dagegen spricht.

Verboten? Die Hände in die Hosentaschen stecken

Die Hände in die Hosentaschen zu stecken, galt lange als No-Go. Es wirkt lässig und entspannt, das kann je nach Situation als respektlos empfunden werden. Stell dir zum Beispiel mal vor, der Bundespräsident hält eine feierliche Ansprache und hat dabei die Hände in den Hosentaschen. Passt nicht, oder?

Bei Lehrer*innen, Dozent*innen und auch bei öffentlichen Vorträgen sieht man dagegen schon Redner*innen, die eine oder beide Hände in die Hosentasche stecken. Hier ist die Lässigkeit ein Vorteil: man wirkt nahbarer und es fällt den Zuschauer*innen leichter, sich auf die Sprechenden einzulassen.

In der Folge verrät dir Lena, dass sie, wenn sie Seminare gibt, auch ganz gerne eine Hand in die Hosentasche steckt. Sie findet das bequem und fühlt sich einfach wohl damit. Und das ist ein absolut gültiges Argument!

Ich liebe Hosentaschen, wenn ich irgendwo stehe und mich mit jemandem unterhalte. In solchen Situationen ist meine Unsicherheit oft größer als bei einem Vortrag vor Publikum. Und wenn ich zuhöre und meine Hände gerade nicht brauche, können sie sich dort bequem und sicher ausruhen. Dass ich so ganz generell ein Fan von Hosentaschen bin, gestehe ich auch in diesem Instagram Post:

 

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Ein Beitrag geteilt von Paula | Sprechen & Zuhören (@paulamarieberdrow)

Beliebt: Die Hände locker aneinanderlegen

Viele Menschen legen die Hände auch gerne in- oder aneinander. Sie sind dann ungefähr auf Bauchhöhe, und wenn sie gebraucht werden, zum Beispiel um eine spontane Geste zu machen, sind sie sofort da. Das ist ein klarer Vorteil gegenüber den Hosentaschen. Da dauert es manchmal doch einen Moment länger, bis man die Hände wieder draußen hat.

Ein Nachteil der ineinandergelegten Hände: Wenn du zu schwundvollen Gesten neigst, kommt es manchmal zu Klatschgeräuschen kommen. Wenn du einen Ring trägst, lädt es außerdem dazu ein, mit ihm zu spielen, ihn zum Beispiel immer wieder hin- und herzudrehen. Das ist nicht schlimm, wenn es ab und zu mal vorkommt, kann aber ablenken, wenn du es sehr oft machst. Dazu später mehr!

Eine besonders berühmte Variante der aneinandergelegten Hände ist übrigens die Merkel-Raute. In der Dokumentation „Angela Merkel – Im Lauf der Zeit“, erzählt die Ex-Kanzlerin, wie sie zu ihrem Markenzeichen gekommen ist: Sie wusste nicht, wohin mit ihren Händen! Spannend, oder?

„Ich will mich an etwas festhalten!“ – einen Gegenstand halten

Vielen gibt es auch Sicherheit, wenn sie sich beim Reden an etwas festhalten können. Das kann ein Stift oder der Laserpointer oder dein Stichwortkonzept, zum Beispiel auf Karteikarten, sein. Wichtig, wenn du dich an etwas festhalten möchtest: Nimm einen Gegenstand, den du ganz easy in einer Hand halten kannst. Dann kannst du mit der anderen Hand noch spontane Gesten machen. Das ist ein Vorteil, weil die Gesten uns beim Sprechen sehr unterstützen können. Ich erkläre dir unten noch mehr dazu.

Der Stift oder die Karteikarte ist also besser geeignet, als zum Beispiel ein großer Ordner, ein Block oder ein Stapel Unterlagen. Karteikarten sind für mich persönlich zwar nicht das Richtige – ich vergesse einfach IMMER, sie umzublättern – vielen Anderen helfen sie aber. Als Anker für die Hände sind sie außerdem auch besser geeignet ein Blatt Papier, weil sie nicht rascheln.

Nachteil an Gegenständen: sie laden dazu ein, mit ihnen herumzuspielen. Den Stift kann man in der Hand hin- und herdrehen, die Karteikarte könnte man biegen und knicken. Wenn Du dazu neigst, dann greif lieber zu der folgenden Variante:

Einen imaginären Gegenstand halten

Anstelle eines echten Gegenstandes kannst Du Dir auch einfach vorstellen, dass Du einen Gegenstand, zum Beispiel einen Bleistift, in Deinen Händen hältst. So kommen die Hände in eine lockere Ruheposition. Du kannst jederzeit eine Geste machen und herunterfallen oder in den Händen bewegt werden kann auch nichts.

Die Hände in die Hüften stemmen

Das ist ein Zufallsfund: Während der Podcast-Aufnahme habe ich die Hände in die Hüften gestemmt. Das wäre mir gar nicht aufgefallen, aber Lena hat´s gemerkt und mir gesagt, dass diese Haltung auf sie selbstsicher und präsent wirkt. Ich mache das gerne zwischendurch, wenn ich Workshops gebe, und verbinde damit Aktivität, Aufmerksamkeit und Konzentration.

Als Dauerposition empfehlen wir die Haltung aber nicht, denn sie kann auch bedrohlich wirken. Hier darfst du wieder einschätzen, ob sie zu dir und deinen Sprechsituationen passt.

Mutig: Die Händen einfach hängen lassen

Das ist wahrscheinlich die Ruheposition, die vielen am schwersten fällt. Wenn die Hände einfach nur neben dem Körper herunterhängen, gibt es kein Verstecken mehr. Du bist sichtbar. Gleichzeitig kann das eine große Souveränität und Offenheit ausstrahlen.

Auch hier sind die Hände frei, jederzeit spontane Gesten zu machen. Sie haben nur einen minimal weiteren Weg als bei anderen Ruhehaltungen.

Probier es einfach mal aus: Gibt dir die Haltung Sicherheit, erdet sie dich, dann nutze sie. Fühlt sie sich eher steif und unbequem an, wirf sie über Bord und probier etwas anderes. Dieses individuelle Ausprobieren ist der Schlüssel zu deiner Ruhehaltung. Sie muss für dich funktionieren. Und wenn du eine gefunden hast, mit der du dich wohlfühlst, kannst du dir zusätzlich noch ein Feedback von einer vertrauten, wohlwollenden Person einholen. Wie wirkt die Haltung auf sie? Wie sieht sie dich in der Haltung? Wenn das mit dem übereinstimmt, wie du gesehen werden willst, hast du deine Haltung gefunden.

Deshalb solltest du spontane Gesten zulassen

Vielleicht hast du dich gefragt, warum ich immer so viel Wert darauf lege, dass die Hände frei bleiben, um Gesten zu machen. Hier kommt die Antwort: Weil Gesten unser Sprechdenken und Hörverstehen unterstützen.

Wenn wir sprechen, machen wir meistens ganz automatisch etwas mit den Händen. Wir zeigen Richtungen und Größenverhältnisse, orientieren uns im Raum oder heben hervor, was wichtig ist. Denken und Sprechen passieren nämlich nicht nur in unseren Köpfen. Der ganze Körper ist am Ausdrücken der Gedanken beteiligt. Und nicht nur das: die Geste kommt sogar ein paar Millisekunden vor dem Aussprechen.

Wenn wir diesen Ablauf unterbrechen, indem wir die Hände irgendwo fixieren, dann ist das für unser Gehirn so, als würden wir ihm einen Stein in den Weg legen. Da muss es dann erstmal drum herum navigieren. Deshalb kommen wir leichter ins Stocken und benutzen mehr Füllwörter. Lassen wir spontane Gesten zu, kommen wir dagegen in den Fluss. Dann können wir spontan formulieren und unseren Gedanken Ausdruck verleihen.

Sie gestalten den inneren Raum

Gesten helfen uns außerdem, das, was wir sagen, vor uns zu sehen. Wir erschaffen durch unsere Worte und Gesten einen Raum und je konkreter wir ihn ausgestalten, desto klarer können ihn auch die Zuhörer*innen vor sich sehen.

In der Podcastfolge machen wir dazu ein Experiment, das wir auch gerne als Übung in unseren Workshops einsetzen: Ich erkläre Lena, wie man einen Cappuccino mit der Siebträgermaschine macht. Dabei darf ich nach 30 Sekunden plötzlich keine Gesten mehr verwenden. Als ich von Lena das Signal für „keine Gesten“ bekomme, bin ich aber gerade dabei, etwas mit meinen Händen zu verdeutlichen und bekomme ganz schön Stress. Ich werde atemlos und verliere für einen Moment den Überblick über mein Thema. Lena erklärt hinterher, dass sie sich den Vorgang besser vorstellen konnte, als ich mit Gesten gesprochen habe.

Leider mache ich bei der Erklärung einen kleinen inhaltlichen Fehler, also wenn du wirklich nach dieser Anleitung deinen Cappuccino zubereiten möchtest, dann frag mich lieber nochmal 😉.

Manche Gesten lenken vom Inhalt ab

Diese spontanen Gesten, über ich gerade gesprochen habe, unterstützen das, was du sagst. Sie entstehen ganz intuitiv beim Sprechen und du musst nichts weiter tun, als sie zuzulassen. Deshalb heißen sie übrigens auch sprechbegleitende Gesten.

Es gibt aber auch Gesten, die nicht direkt aus dem Sprechen entstehen. Sie haben eher damit zu tun, wie wir uns fühlen: meistens treten sie auf, wenn wir aufgeregt oder unsicher sind. Du hast sie bestimmt schon einmal beobachtet:

  • immer wieder die Haare hinter das Ohr streichen
  • mit einer Haarsträhne spielen
  • sich kurz im Gesicht berühren
  • den Ring am Finger hin- und herdrehen

Es gibt unzählige Möglichkeiten! Ich neige zum Beispiel dazu, wenn ich eine offene Jacke trage, die Zipfel davon anzufassen und etwas nach vorne zu ziehen.

Der Blitzableiter für Deine Aufregung

Diese Gesten heißen Adaptoren oder Ableitungsgesten. Das ist, wie ich finde, ein sehr passender Ausdruck dafür. Ich denke da nämlich sofort an einen Blitzableiter.

In einem Blitz steckt große Energie. Der Blitzableiter nimmt sie auf und leitet sie in den Boden. Tja, und wenn wir aufgeregt sind, dann ist da auch eine große Energie. Der Körper produziert Adrenalin, das Herz klopft und wir sind angespannt. Ideal, um schnell vor einem Tiger wegzulaufen, aber wenn wir ruhig dastehen und sprechen, kann diese Energie nirgendwohin. Deshalb sucht sich der Körper einen Weg, um sie loszuwerden: Ableitungsgesten.

Das ist absolut nachvollziehbar und eigentlich ziemlich schlau. Forscher*innen haben nämlich herausgefunden, dass wir uns mit diesen kleinen Berührungen selbst beruhigen. Sie aktivieren Gehirnareale, die uns emotional stabilisieren.

Aber wenn diese Gesten zu oft wiederholt werden, dann fallen sie irgendwann auf und es wird für Zuhörer*innen schwierig, sich auf den Inhalt zu konzentrieren. Die Ableitungsgesten mischen sich unter die sprechbegleitenden Gesten wie ein kleines Störgeräusch.

Was tun, wenn ich zu Ableitungsgesten neige?

Sie schleichen sich meistens unbewusst ein, deshalb ist es wichtig, sich immer wieder mal ein Feedback zu holen. Und keine Sorge: wir alle machen sie, das ist nicht schlimm. Nur wenn sie gehäuft auftreten, werden sie von deinen Zuhörer*innen überhaupt registriert.

Mein Tipp, wenn du Ableitungsgesten bei dir bemerkst:

  • erstmal nur beobachten: nimm wahr, was du da eigentlich machst
  • immer wenn es dir auffällt, bring die Hände in deine Ruhehaltung

Manchmal gibt es auch ganz pragmatische Wege, die Ableitungsgesten zu reduzieren, für mich zum Beispiel: wenn es drauf ankommt keine offenen Jacken anziehen 😉.

Außerdem kannst du dich natürlich mit der Aufregung selbst auseinandersetzen und sie nach und nach reduzieren.

Exkurs: Warum ich nichts von Körpersprache-Mythen á la „überschlage nie das Bein von deinem Gesprächpartner weg“ halte…

Du siehst schon, Lena und ich verfolgen einen individuellen und situativen Ansatz. Für uns gibt es in der Kommunikation keine absoluten Wahrheiten. Entscheidend ist, dass deine Kommunikation stimmig ist: zu dir, zu deinem Thema und der Situation, in der du dich gerade bewegst.

Deshalb halten wir auch nichts von so starren Regeln wie

„Wer das Bein von mir weg überschlägt, mag mich nicht,“

oder

„verschränkte Arme wirken abweisend.“

Das sind sehr vereinfachte Darstellungen komplexer Zusammenhänge, und in vielen Situationen funktionieren sie einfach nicht.

„Körpersprache“ ist nämlich keine Sprache in dem Sinne wie Englisch, Deutsch oder deutsche Gebärdensprache. In einer Sprache gibt es Zeichen, die eine festgelegte Bedeutung haben. Wenn ich „Tisch“ sage, können sich Menschen in ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz etwas darunter vorstellen, nämlich eine Platte mit einem oder mehreren Beinen. Das funktioniert nur deswegen, weil sich mit der Zeit eine Konvention gebildet hat.

Körperausdruck statt Körpersprache

Mit den verschränkten Armen und überschlagenen Beinen ist es anders. Diese Zeichen sind nicht mit einer festen Bedeutung verknüpft. Wir interpretieren sie eher auf der Basis unserer Erfahrungen.

Wenn jemand das Bein von mir weg überschlägt, kann das ein Hinweis darauf sein, dass die Person sich abgrenzen möchte. Es kann aber auch andere Gründe haben. Vielleicht ist es für die Person einfach die bequemste Haltung. Vielleicht wünscht sie sich eine Abwechslung, weil sie bis eben mit dem Bein zu mir gesessen hat. Oder, oder, oder.

Die Sprechwissenschaftlerin Christa Heilmann schlägt deshalb vor, statt von „Körpersprache“ lieber von „Körperausdruck“ zu sprechen. Interessanterweise heißt ihr Buch trotzdem „Körpersprache“.

Mehr Informationen einbeziehen

Jedenfalls sollten wir mit solchen Zuschreibungen vorsichtig sein und nicht nur dieses eine Merkmal betrachten. Wenn Lena zum Beispiel im Gespräch die Arme verschränkt, mich aber weiterhin freundlich und interessiert anschaut, gehe ich nicht davon aus, dass sie sich abweisend verhält. Wenn ihre Körperspannung nachlässt und ihr Blick abschweift, vielleicht schon.

Deshalb schließen wir auch eher ungewöhnliche Haltungen wie Hände in die Hüften stemmen oder in die Hosentaschen stecken nicht aus, sondern schauen uns an, wer das macht und in welcher Situation.

So, ich hoffe, du verzeihst mir den kleinen Exkurs! Wenn dir dieser Artikel geholfen hat, deiner persönlichen Antwort auf die Frage „Wohin mit meinen Händen?“ näherzukommen, berichte mir doch in einem Kommentar davon – ich freue mich immer, von dir zu hören!

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