Warum „ins kalte Wasser werfen“ im Sprechtraining der falsche Ansatz ist

von | Aug 22, 2022 | Persönliches | 0 Kommentare

Ich habe in letzter Zeit darüber nachgedacht, was meine Herangehensweise im Sprechtraining von anderen unterscheidet. Eine Sache ist mir dabei ganz deutlich geworden: Ich halte nichts davon, jemanden ins kalte Wasser zu werfen.

„Ins kalte Wasser werfen“ als Methode im Sprechtraining?

Immer wieder höre ich von Sprech-, Kommunikations- oder Rhetoriktrainings, bei denen die Teilnehmenden „ins kalte Wasser geworfen“ werden. Sie müssen dann zum Beispiel immer wieder vor die Gruppe, um etwas zu sagen. Alle kommen dran, und wenn jemand nicht will, wird das nicht geduldet.

Eine Freundin hat mir vor Kurzem von so einem Training erzählt. Es ist schon ein paar Jahre her, und damals fiel es ihr noch wirklich schwer, vor einer Gruppe zu sprechen. In dem Training hatte sie kaum Gelegenheit, sich an die Herausforderung heranzutasten. Sie fühlte sich überfordert, musste aber trotzdem alles mitmachen. Das war stressig und belastend für sie, und am Ende war sie einfach nur froh, dass es vorbei war.

Das Ziel dieser Herangehensweise ist, dass man sich durch das ständige Üben daran gewöhnt, vorne zu stehen und mit den Zuhörer*innen zu sprechen. Man merkt im Idealfall, dass es gar nicht so schlimm ist und wird mit der Zeit immer mutiger. Das kann durchaus wirkungsvoll sein – aber es funktioniert nur, wenn die Überwindung nicht ZU groß ist.

Wie kalt ist das Wasser für dich?

Wenn wir plötzlich in einer Situation landen, die sich gefährlich anfühlt, wird der sympathische Teil unseres Nervensystems aktiviert. Wir kommen dann in einen Alarmzustand (fight or flight). Das Herz schlägt schneller, wir atmen flacher, die Anspannung im Körper steigt – um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Diese Reaktion kann mehr oder weniger stark ausfallen. Ist sie nur leicht, spürst du vielleicht etwas Aufregung. Das kann angenehm und motivierend sein. Aufregend eben.

Wenn sie sehr stark ausfällt, kann es aber ganz schön heftig werden. Das ist nicht wirklich hilfreich, wenn es darum geht, etwas Neues zu lernen, im Gegenteil – es ist wahrscheinlich ein unangenehmes Erlebnis, also wird die Hemmschwelle beim nächsten Mal noch ein bisschen größer sein.

Langsam reingehen ist genauso mutig wie springen

Deshalb möchte ich, dass du dich in meinen Workshops und Sprechtrainings langsam an deine Herausforderungen herantasten kannst. Das darf aufregend sein, aber es soll sich nicht nach einer lebensbedrohlichen Gefahr anfühlen.

Ich fange zum Beispiel nicht gleich mit einer ganz großen Herausforderung an. Stattdessen machen wir viele kleine, spielerische Übungen. So kannst du ausprobieren, findest mehr über dich heraus und merkst, was dir schwer fällt und was ganz leicht. Außerdem hast du viele kleine Erfolgserlebnisse, die dir Energie für die nächsten Schritte geben.

Ich bleibe mal bei dem Beispiel von meiner Freundin, wo es darum ging, vor die Gruppe zu treten und zu sprechen. Bevor du das in meinen Workshops machst, hast du schon so einiges gemeistert…

  • Du hast zugehört und Gelegenheit bekommen, schriftlich oder mündlich an der Diskussion in der Gruppe teilzunehmen.
  • Du hast dich mit verschiedenen anderen Teilnehmenden zu zweit unterhalten.
  • Du bist quer durch den Raum gelaufen.
  • Du hast von deinem Platz aus etwas gesagt.
  • Wir haben im Kreis gestanden und Sprechübungen gemacht.
  • Du hast vielleicht vor einer kleinen Teilgruppe gesprochen, oder mit jemandem zusammen vorne vor der ganzen Gruppe gesprochen.

Da diese Dinge nach und nach im Lauf des Trainings passieren, kennst du die anderen Teilnehmenden immer besser. Es fühlt sich vertrauter und sicherer an. Zwischendurch gibt es Pausen und Gelegenheit, über das Erlebte zu reflektieren. Vielleicht merkst du, dass es anderen ähnlich geht wie dir, und auch das macht es leichter.

Selbstbestimmung: eine bewusste Entscheidung treffen

Ich selber wurde mal in einem Coaching ins kalte Wasser geworfen. Ich war dabei, meine allerersten Angebote zu entwickeln und fand es schwer, mich für einen Preis zu entscheiden. Von dem Coaching wünschte ich mir, die ganzen Überlegungen mal mit jemandem durchzusprechen, Klarheit zu gewinnen und am Ende eine Entscheidung zu treffen.

Nach einem ersten, kurzen Austausch ging meine Coachin unvermittelt in die nächste Phase über: in einem Rollenspiel wollte sie üben, wie ich meine Preise selbstbewusst kommuniziere. „Ring, ring, ring…“ – plötzlich waren wir mittendrin, und sie spielte die Kundin am Telefon.

Das kam vollkommen überraschend für mich. Ich konnte mich so schnell nicht darauf einlassen und hatte keine Möglichkeit, mich für (oder gegen) das Rollenspiel zu entscheiden.

Davon musste ich mich erstmal erholen. Statt mit mehr Klarheit ging ich am Ende vollkommen aufgewühlt nach Hause. Aber ich habe auch gemerkt, wie wichtig mir Selbstbestimmung ist. Ich möchte mich bewusst und in aller Ruhe für eine Übung entscheiden können.

Und das möchte ich auch für die Teilnehmer*innen in meinen eigenen Trainings!

Dein Sicherheitsgefühl ist entscheidend

Im Sprechtraining ist mir wichtig, dass du selbst die Verantwortung für dich übernimmst. Deshalb gebe ich mir Mühe, immer erstmal genau zu erklären, was ich vorhabe und alle Fragen zu beantworten. Dann hole ich mir das Einverständnis der Teilnehmenden.

„Ok?“, „Habt ihr da Lust zu?“, „Wollen wir das machen?“ – diese Sätze hörst du immer wieder in meinen Trainings. Oft ist es nur ein kurzer Moment, aber für mich ist es ein ganz wichtiger Schritt. Ich möchte nicht, dass meine Teilnehmer*innen etwas „aushalten“, was ihnen nicht gut tut oder wofür sie grad nicht bereit sind, nur weil ich mir das so überlegt habe. Ich möchte, dass sie sich mit Freude an die nächste Herausforderung heranwagen!

Deshalb lege ich Wert auf Selbstbestimmung und darauf, dass wir das Training gemeinsam gestalten. Ich versuche eine Atmosphäre zu schaffen, in der man sich offen zeigen kann und ermutige die Teilnehmenden, auch über ihre Ängste, Bedenken und aufkommenden Stress zu sprechen.

Außerdem habe ich einen Grundsatz: Du darfst bei mir immer Pause machen. Wann du willst 😊. Du musst dich dafür nicht erklären oder rechtfertigen, es ist einfach ok.

Gerade in der Gruppe ist mir das wichtig, denn da ist es manchmal extra schwer, sich zu äußern, wenn man sich mit einer Übung unsicher ist. Und ich finde das auch selbst befreiend, wenn ich woanders Teilnehmerin bin und ohne große Erklärungen einfach sagen kann: „Ich brauche jetzt mal kurz eine Pause.“

Wie stehst du dazu, ins kalte Wasser geworfen zu werden?

Jetzt hast du ein bisschen was darüber erfahren, was mir in meinen Workshops und Trainings wichtig ist. Bei echtem Wasser halte ich es übrigens ähnlich, ich gehe am Liebsten laaangsam hinein und gewöhne mich an die Kälte. Aber dann finde ich es toll!

Und wie ist das bei dir? Findest du es ok, in einem Training „ins kalte Wasser geworfen“ zu werden? Ist es vielleicht sogar manchmal notwendig? Lass mir gern einen Kommentar da, oder schreibe mir. Ich freue mich immer, von dir zu hören.

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