Heute präsentiere ich Dir meine erste Buchempfehlung. „Leidenschaftlich introvertiert“ habe ich über die Instagram-Beiträge entdeckt, die Lena Noa auf ihrem Account @team_introvertiert postet. Dort geht es zum Beispiel um den Wert der Stille und des Alleinseins, aber auch um Freundschaft und gute Gespräche aus introvertierter Perspektive.
Auch bei ihrem Buch, das sie 2021 im Selbstverlag herausgebracht hat, hatte ich von vornherein das Gefühl, dass sie eine posititive, wertschätzende Perspektive auf introvertierte Persönlichkeiten einnimmt.
Introversion ist beneidenswert!
Der positive Blick, den Lena Noa auf das Introvertiertsein wirft, zeigt sich schon im Titel:
„Leidenschaftlich introvertiert. Inspirationen für Introvertierte und alle, die es werden wollen.“
Introversion ist also etwas, das jemand werden will? Etwas erstrebenswertes? Hui, dieser Gedanke fühlt sich immer noch etwas ungewohnt an. Zwar kenne ich meine Stärken schon ganz gut und habe auch das Gefühl, dass sie von anderen gesehen werden, aber mir ist eben auch die andere Seite vertraut:
Dieses Gefühl,
- dass es „besser“ wäre, geselliger zu sein
- dass ich micht nicht „schon wieder“ zurückziehen sollte
- dass mir irgendetwas fehlt, was andere haben
Diese Gefühle beschreibt auch Lena Noa in ihrem Vorwort für Introvertierte.
Ein Buch für Intros und Extros
Ja, Du hast richtig gehört. Es gibt ein Vorwort für Introvertierte und eines für Extrovertierte, denn die Autorin richtet sich mit ihrem Buch an beide.
Uns Introvertierte läd sie dazu ein, unsere Stärken und Potentiale kennenzulernen und unser stilles Wesen als Geschenk zu sehen.
Den extrovertierten Leser*innen drückt sie zunächst einmal ihren Dank aus: dafür, dass sie uns gegenüber offen und neugierig sind und mehr über uns erfahren wollen. Durch das Buch will sie ihnen helfen, Introvertierte, aber auch die eigenen introvertierten Anteile besser zu verstehen.
Übrigens stellt sie auch klar, dass es sich um angeborene Persönlichkeitsmerkmale handelt, die man nicht komplett umkrempeln kann. Der Untertitel „für Introvertierte und alle, die es werden wollen“ ist also nicht ganz wörtlich zu verstehen. Trotzdem drückt er eine grundlegende Wertschätzung aus, und das finde ich richtig gut!
Teil 1 – Introversion verstehen
Im ersten Teil geht es darum, was Introversion ist und wie sie unser Leben beeinflusst. Dabei geht die Autorin auf folgende Aspekte ein:
- Wie nehmen andere mich wahr – und wie nehme ich mich wahr? – Wenn Du daran gewöhnt bist, eher negativ auf Deine introvertierten Eigenschaften zu blicken, lernst Du hier eine neue Perspektive kennen, denn Lena Noa spricht selbstbewusst und sehr positiv über ihr Temperament. Dem Eindruck, den manche extrovertierte Menschen von uns haben, setzt sie eine selbstbewusste, aber auch verständlisvolle und vermittelnde Perspektive entgegen.
- Bin ich introvertiert? – Wenn Du Dir noch unsicher bist, kannst Du dieser Frage anhand von 10 typisch introvertierten Eigenschaften nachgehen.
- Was unterscheidet Introvertierte und Extravertierte? – Hier findest Du die wesentlichen Unterschiede in der Funktionsweise des Gehirns. Kurz und verständlich zusammengefasst und damit perfekt zum Nachschlagen.
- Ein kritischer Blick auf gängige Persönlichkeitsmodelle – Dieser Teil hat mir besonders gut gefallen, denn auch ich finde es irritierend, wie Introversion in manchen Modellen dargestellt wird. Das extrem verbreitete „Big 5“ Modell beschreibt Introversion zum Beispiel als einen Mangel an Extraversion. Andere belegen sie mit negativen Begriffen, mit denen ich mich nicht identifizieren kann. Lena Noa kritisiert die fehlende Neutralität dieser Modelle. Sie sind ein Ausdruck des extrovertierten Ideals in unserer Gesellschaft.
- Die häufigsten Vorurteile gegenüber Introvertierten – In diesem Kapitel geht die Autorin auf 15 typische Annahmen über Introvertierte ein und differenziert: manche haben einen wahren Kern, wie zum Beispiel „Intros sind kopflastig“. Andere sind einfach falsch, wie zum Beispiel „Intros sind schlechte Führungskräfte“. Hier findest Du viele Anregungen, um im Alltag souverän zu reagieren, wenn Du mal wieder mit einem Vorurteil konfrontiert wirst.
- Die besondere Bedeutung der Stille für uns Introvertierte – und was es alles heißen kann, wenn wir still sind.
- Freundschaft aus introvertierter Perspektive – mit Anregungen für beide Seiten: was Du als extrovertierte Person über Deine introvertierten Freund*innen wissen solltest, aber auch wie Du als introvertierte Person (noch) bessere Beziehungen aufbauen kannst.
Teil 2 – Intro-Potentiale erkennen
Dieses Kapitel hat mir besonders gut gefallen, weil es den Blick auf unsere Stärken lenkt. Die Autorin beschreibt zunächst ihren eigenen Weg: vom Gefühl, unsichtbar zu sein und sich anpassen zu müssen und von ihren erfolglosen Versuchen, sich extravertierter zu verhalten. Schließlich hat sie beschlossen, sich nicht mehr zu verstellen und ihr introvertiertes Wesen anzunehmen.
Dabei bezieht sie auch die gesellschaftliche Ebene mit ein: Studien zeigen, dass Menschen, die viel, schnell und mit fester Stimme sprechen, von anderen als klüger und interessanter wahrgenommen werden. Personen, denen diese Eigenschaften fehlen, fällt es schwerer, ein positives Selbstbild zu entwickeln, weil das angebliche Defizit ihnen immer wieder gespiegelt wird.
Umso wichtiger ist es, sich mit den eigenen Stärken und Potentialen zu beschäftigen. Lena Noa listet 13 häufige Stärken introvertierte Menschen auf, in vielen davon konnte ich mich wiederfinden. Noch spannender fand ich aber die folgenden Kapitel, in denen sie sich Eigenschaften vornimmt, die üblicherweise eher zu unseren Schwächen gezählt werden.
Introvertierte Meister*innen
Die folgenden Kapitel heißen:
- Meister des Gesprächs
- Meister des Vergnügens
- Meister der Gedanken
- Meister der Stille
Mal ganz ehrlich: selbst als Kommunikationspädagogin wäre ich nicht auf die Idee gekommen, mich als Meisterin des Gesprächs zu bezeichnen. Oder als Meisterin des Vergnügens, wo ich doch so gar keinen Sinn für große Parties habe.
Aber ich finde es großartig, diese neue Perspektive einzunehmen und mir anzusehen, wie wir auf diesen Gebieten unsere ganz eigene Meisterschaft erreichen können. Dabei ist mir eutlich geworden, welchen großen Wert introvertierte Stärken wie Zuhören, Empathie oder Unabhängigkeit haben.
Außerdem hat mir das Kapitel gezeigt, wie wir mit unseren Stärken zu einem Ausgleich beitragen können, denn sie bilden einen notwendigen Gegenpol zu typisch extravertierten Eigenschaften.
Kommunikation zwischen Intros und Extros
Berufsbedingt ist das Kapitel „Meister des Gesprächs“ natürlich besonders spannend für mich. Mir gefällt, dass die Autorin auf die unterschiedlichen Kommunikationsstile von Extrovertierten und Introvertierten eingeht. Daraus entwickelt sie hilfreiche Tipps für die Kommunikation zwischen Intros und Extros.
Kleines Geständnis: bei den Tipps für Extrovertierte dachte ich immer wieder: „Oh ja, bitte, das wäre schön!“ Da fühlte ich mich durch und durch verstanden 😀
Außerdem findest Du in diesem Kapitel eine tolle Übung für selbstbewusstes Auftreten und ein philosophisch und psychologisch fundiertes Kapitel zum Thema Zuhören. Lena Noa betrachtet das Zuhören als ein Potential vieler Introvertierter, das wir noch weiter schulen und und entwickeln können. Grundlage ihrer Tipps ist das Konzept des aktiven Zuhörens nach Carl Rogers.
Wie werde ich eine gute Zuhörer*in?
Bei den ganz konkreten Tipps zum Thema Zuhören darfst Du Dir das raussuchen, was für Dich gut funktioniert.
Für mich zum Beispiel fühlt es sich nicht gut an, die Körperhaltung meiner Gesprächspartner*innen bewusst zu spiegeln. Auch Lächeln würde ich nur dann bewusst einsetzen, wenn es sich für mich stimmig anfühlt, sonst besteht die Gefahr, dass ich mich unwohl fühle und schnell erschöpft bin. Mich zuwenden, nicken, bestätigen, nachfragen und paraphrasieren nutze ich dagegen regelmäßig.
Was ich außerdem teile, ist die Grundhaltung, die hinter Lena Noas Ausführungen zum Zuhören steht: Sei neugierig auf Deine Gesprächspartner*innen, bringe ihnen Offenheit und Interesse entgegen. Dann stehen die Chancen gut, dass sich ein interessantes Gespräch zwischen euch entwickelt.
Teil 3 – Lasst uns Leidenschaftlich introvertiert sein
Das Abschlusskapitel ist ein Plädoyer. Es dient zugleich als Zusammenfassung und als Abschluss und ruft die Leser*innen dazu auf, leidenschaftlich…
- tiefgründig
- empathisch
- unabhängig
- still
- kreativ
- neugierig
- gute Zuhörer*innen und natürlich
- introvertiert zu sein.
Klingt das nicht wunderbar? Im Grunde ist das genau die Essenz von „Leidenschaftlich introvertiert“: Deine Intro-Potentiale zu sehen, sie zu feiern und zu sagen:
„Ja ich bin introvertiert. Und das ist wunderbar.“
Kritik
Ich glaube, Du hast schon gemerkt, dass ich „Leidenschaftlich introvertiert“ richtig gut finde, oder? Ich habe zwei Kritikpunkte, die meinen Lese-Genuss aber nur minimal beeinflusst haben 🙂
Das generische Maskulinum
Ich kann beim Lesen darüber hinwegsehen, trotzdem ist es mir wichtig: Die Autorin verwendet das generische Maskulinum. Diese Form finde ich nicht mehr zeitgemäß. Studien haben gezeigt, dass andere Geschlechter vielleicht mitgemeint, aber oft nicht mit gehört (oder gelesen) werden. Am Ende haben die Versuchsteilnehmer*innen eben doch meistens Männer vor ihren inneren Augen gesehen.
Intro-Potentiale wie Schreiben, Empathie, Reflektiertheit und Kreativität könnten genutzt werden, um eine gerechtere und inklusivere Sprache zu entwickeln. Verlage stellen sich oft quer, aber ein Buch im Selbstverlag ist aus meiner Sicht eine große Chance, die Reflektion über Sprache anzustoßen.
Die Menschen um mich herum
Insgesamt zeigt Lena Noa eine große Leidenschaft für unsere introvertierten Stärken und Potentiale. Ab und zu gibt es trotzdem Stellen, an denen die negative Außenperspektive viel Raum bekommt. So beschreibt sie zum Beispiel mehrfach, wie langweilig wir auf andere wirken können. Auf diese Vorurteile geht sie ein, um sie dann zu entkräften, sie handelt also in allerbester Absicht. Trotzdem steht mir dieser negative Blick von außen manchmal zu sehr im Vordergrund.
Beim Lesen habe ich dann das Gefühl, als wäre ich allein in einer feindseligen Umgebung. Aber stimmt das wirklich?
Wenn ich als stille Person an einem Gespräch teilnehme, KANN es passieren, dass andere mich negativ beurteilen. Es kann aber auch sein, dass sie meine Ruhe zu schätzen wissen. Vielleicht, weil sie selbst eher still sind und sich damit wohl fühlen. Vielleicht, weil sie den Gegenpol zu ihrer eigenen, lebhaften Art schätzen. Das bekommen wir nicht immer mit, aber ich finde es wichtig, für diese Möglichkeit offen zu bleiben.
Deshalb hätte ich mir gewünscht, dass auf die mögliche Vielfalt der Reaktionen und Gesprächspartner*innen hingewiesen wird. Die typischen Einordnungen, wie zum Beispiel „diese stille Person ist bestimmt langweilig“ kenne ich so gut, dass ich sie zum Teil verinnerlicht habe. Deshalb reagiere ich auch schnell genervt, wenn ich immer wieder damit konfrontiert werde.
Fazit: leidenschaftlich und motivierend
Alles in allem habe ich „Leidenschaftlich introvertiert“ mit großer Begeisterung gelesen. Das Buch ist verständlich geschrieben und spricht mich sowohl rational als auch emotional an. Außerdem enthält es viele schöne Zitate zum Thema Introversion, jedem Kapitel ist nämlich eines vorangestellt.
Und was für mich ganz besonders wichtig ist: Ich fühlte mich verstanden, weil das Buch von einer Person geschrieben wurde, die ähnliche Erfahrungen gemacht hat wie ich. Eine wunderbare Einladung, unser introvertiertes Wesen anzunehmen, uns mit unseren Stärken zu beschäftigen und dabei selbstbewusst – und leidenschftlich – introvertiert zu werden.
Hast Du „Leidenschaftlich introvertiert“ schon gelesen? Wenn ja: wie hat es Dir gefallen? Und wenn nein: hättest Du Lust, es zu lesen? Lass mir gern einen Kommentar da, oder schreibe mir. Ich freue mich immer, von Dir zu hören 😊
Oh, und vielleicht hast Du ja auch Lust, mal auf Lena Noas Blog vorbeizuschauen 🙂
Alles Liebe
Deine Paula
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