Hörerkontakt im Studio – 1 Problem und 7 Lösungen

von | Jan. 7, 2025 | Sprechen im Studio | 0 Kommentare

Wir sprechen, damit wir gehört werden. Dieses grundlegende Prinzip gilt für alle Formen unserer menschlichen Kommunikation – eigentlich.

Wenn wir im Studio sitzen und z. B. ein Hörbuch einsprechen, sind wir oft stundenlang alleine. Wir sitzen mit unserem Text vor dem Mikrofon und sprechen. Ja, aber für wen eigentlich?

Das Problem: deine Hörer*in ist nicht da

Natürlich wissen wir, dass die Geschichte, die wir da erzählen, jemand hören wird. Nur, diese Hörer*inen sind eben jetzt noch nicht da. Sie wissen überhaupt nicht, dass wir gerade hier sitzen und ein Hörbuch für sie einsprechen. Und wir wissen auch wenig über sie.

Diese zeitliche Verschiebung kann ganz schön herausfordernd sein. Aus dem Alltag kennen wir das nicht – da sprechen wir und sehen, hören, wissen, dass uns in diesem Moment jemand zuhört. Aus dem Blick, der Körperhaltung und den Reaktionen des Gegenübers ziehen wir Informationen und stellen uns im Weitersprechen darauf ein. Mehr noch, das Gefühl, dass uns jemand zuhört, ermutigt uns. Es gibt uns Energie (darüber habe ich hier schon einmal geschrieben).

Ist dieses Gefühl plötzlich weg, kann es passieren, dass sich das Sprechen auf einmal anstrengend anfühlt. Dass die Stimme schnell heiser wird und der Atem aus seinem entspannten Fluss kommt.

Außerdem verändert sich der Sprechausdruck, also die Gestaltung des Textes durch dein Sprechen. Ohne Hörerkontakt verliert das Sprechen seine Natürlichkeit. Es schleichen sich Muster ein, melodische Bögen zum Beispiel, die immer wieder kommen. Oder Betonungen, die nicht zum Inhalt passen.

Wie Hörerkontakt dein Sprechen verändert

Bist du dagegen mit deinen Hörer*innen im Kontakt – und wie das auch im Studio möglich ist, darum geht es in diesem Artikel – dann wird dein Sprechen lebendig. Du gestaltest intuitiv, weil du jemandem etwas mitteilen willst. Betonung, Tempo und Melodie folgen deiner Intention. Dadurch werden sie abwechslungsreich und aussagekräftig.

Warum? Weil du etwas tust, was du in deinem Leben schon ganz oft gemacht hast: Du erzählst jemandem eine Geschichte. Dass du in einem Studio sitzt, tritt in den Hintergrund, denn du fokussierst dich auf die Geschichte und darauf, sie deiner Hörer*in zu erzählen.

Du konstruierst sozusagen eine Situation, in der ihr beide zusammen seid. Ebenso, wie deine Hörer*innen im besten Fall das Gefühl haben werden, dass du bei ihnen bist und nur für sie erzählst.

Dieses Phänomen, dass zwischen dir und deinen Hörer*innen eine Verbindung entsteht, kann man mit verschiedenen Begriffen beschreiben. Ansprechhaltung, persönliches Sprechen und Kontakt sind die, die ich kenne.

7 Strategien für mehr Hörerkontakt im Studio

Das wichtigste, was du für diesen Verbindungsaufbau brauchst, ist deine Vorstellungskraft. Bei allen Strategien, die ich dir vorstelle, geht es darum, dir deine Hörer*in vorzustellen. Ganz konkret, nah und lebendig.

Außerdem brauchst du Konzentration, und du musst offen dafür sein, dass das Erzählen im Kontakt auch für dich etwas verändert. Es bedeutet nämlich, dass du den Text, die Worte, die du sagst, auch bei dir ankommen lässt, und dir erlaubst, das, was sie bei dir auslösen, mitzuteilen.

1. Wähle eine konkrete Person

Mit wem sprichst du? Für wen liest du das Buch oder sprichst den Text? Je konkreter du dir diese Frage beantwortest, desto leichter wird es mit dem Hörerkontakt.

Dabei geht es nicht darum, irgendwelche belastbaren Voraussagen anzustellen, wer die Geschichte später einmal hören wird. Wichtig sind stattdessen zwei Dinge:

  1. Wem würdest du sie gerne erzählen? – Mit wem fühlst du dich wohl, wer gibt dir ein gutes, sicheres Gefühl beim Erzählen?
  2. Wer würde die Geschichte gerne hören? – Wer interessiert sich dafür, mag das Genre, das Thema oder ist Fan der Autor*in? Das kann je nach Projekt verschieden sein

Ich erzähle meine Hörbücher eigentlich immer meiner bücherbegeistertsten Freundin 😊 Bisher hatte ich noch keins, bei dem ich dachte, das interessiert sie nicht.

Es kann aber auch spannend sein, mit verschiedenen Hörer*innen zu experimentieren. Wie sprichst du, wenn du den Text für deine Mama sprichst, für deine beste Freundin oder für deinen Lieblingskollegen? Wenn du mehrere Adressat*innen ausprobiertst und dir dann die Aufnahmen anhörst, wirst du feine Unterschiede feststellen. Auch so kannst du dich annähern und herausfinden, wer für dein aktuelles Projekt die passende Hörer*in ist.

2. Suche den imaginären Blickkontakt

Wenn du deine Lieblingshörerin gewählt hast, stellst du dir vor, dass sie dir gegenüber sitzt. Sie ist schon gespannt auf die Geschichte und schaut dich aufmerksam und erwartungsvoll an.

Wenn du den Text für sie sprichst, nimm dir immer wieder Zeit, sie anzuschauen. Stell dir ihren Blick und ihre Reaktion vor. Dadurch entstehen automatisch Pausen, die auch deine späteren Zuhörer*innen gut gebrauchen können.

Außerdem erinnerst du dich auf die Weise immer wieder daran, im Kontakt zu bleiben und verankerst das Bild deiner aufmerksamen Lieblingshörer*in ganz tief in dir.

Den Tipp, immer wieder in den imaginären Blickkontakt zu gehen, habe ich von Vanida Karun. Vanida hat schon über 300 Hörbücher gesprochen und gibt ihr Wissen in ihren Kursen weiter. Ihren „Hörbuchliebe“ Kurs kann ich nur empfehlen 💜

3. Höre die Stille

Wenn dir die visuelle Vorstellung (heute) schwer fällt, hilft es dir vielleicht, dir eher einen akustischen Kontakt vorzustellen. Zum Beispiel mit deiner Lieblingshörer*in am anderen Ende einer Telefonleitung. Oder du stellst dir vor, in welcher Situation sie das Gesprochene hören wird, zum Beispiel auf dem Sofa, mit einer Tasse Tee, und du bist bei ihr. So, als würdest du live erzählen und deine Stimme auf einer imaginären Leitung zu ihr rüberschicken.

Kennst du die erwartungsvolle Stille, die entsteht, wenn dir jemand zuhört und darauf wartet, dass du zu sprechen beginnst? Lausche auf die Stille in deinem Studio und verbinde dich mit diesem Gefühl. Lass es dich erden und in den Kontakt mit deiner Hörer*in hineinziehen.

4. Sag den Namen deiner Hörer*in

Um dich innerlich auf deine Zuhörer*in auszurichten, hilft es auch, am Anfang einer Aufnahme ihren Namen zu sagen. Das kannst du später wieder wegschneiden, oder du machst es unmittelbar bevor du auf „Aufnahme“ drückst.

Wenn du einen kurzen Text sprichst, kannst du den Namen auch am Ende nochmal wiederholen. Probier mal aus, was das mit deinem Sprechen macht. Der Effekt ist erstaunlich 😊

Bei meinen Hörbuchaufnahmen weiß ich oft noch nicht, wie lange ich bis zur nächsten Unterbrechung lese. Deshalb mache ich es nur am Anfang. Manchmal erweitere ich das auch zu einem kleinen, naja, Fast-Dialog:

H.? Bist du bereit? Ja? Dann machen wir jetzt weiter.

Nach einer Pause hilft mir das auch, wieder in die richtige Spannung und Präsenz zu kommen. Denn wenn ich für jemanden spreche, schlaffe ich nicht so ab, ich bin automatisch, aufrechter, konzentrierter und einen Hauch gespannter.

Diesen Trick kenne ich von Lena Bodenstedt, meiner Lieblingskollegin und Herz-und-Zunge-Podcast-Kollegin 💜

5. Spaziert zusammen durch die Welt des Textes

Diese Strategie setzt wieder auf deine visuelle Vorstellungskraft. Aber nicht nur! Denn, statt dir deine Hörer*in gegenüber sitzend vorzustellen, kannst du sie ja auch mitnehmen und an ihrer Seite durch die Welt des Textes streifen!

Du stellst dir also vor, dass sie neben dir steht. Wenn du magst, kannst du deinen Arm um ihre Schulter legen oder ihre Hand halten. Dabei lässt du den Ort des Geschehens um euch herum entstehen und beschreibst, erzählst, berichtest, was dort geschieht.

Ein großer Vorteil dieser Methode ist, dass du dir das Geschehen größer und dreidimensionaler vorstellst. Du musst dir wirklich klarmachen: Wo sind wir? Was ist das für ein Ort? Wie fühlt der sich an? Wo sind die Figuren? Wie verhalten die sich? Was für eine Stimmung entsteht? Davon profitiert dein Text, und deine Hörer*in natürlich auch.

Diesen Tipp habe ich von meiner lieben Kollegin Hannah Heckhausen. Wer eine Sprechtrainerin in Wien sucht, sollte sich unbedingt bei ihr melden, sie ist nämlich toll 😊

6. Sprich zu einem Foto oder einer Figur

Die ganze Zeit im Kontakt mit deiner Hörer*in zu sein UND dir die Welt des Textes vorzustellen, ist eine ganz schöne Aufgabe für deine Konzentration. Wenn du bemerkst, dass dir der Hörer*innenkontakt zwischendurch immer wieder entgleitet, könnte dir dieser Tip helfen.

Statt dich allein auf deine Vorstellungskraft zu verlassen, kannst du dir ein Abbild deiner Hörer*in ins Studio stellen. Ein Foto zum Beispiel, das du dir ausdruckst oder digital auf den Bildschirm rufst. So hast du ein paar Augen, das du immer wieder anschauen kannst, und das ganz von alleine immer wieder in dein Blickfeld kommt.

So empfiehlt es mein Kollege Bernard Schaer, ein erfahrener Sprecher, der neben Coachings auch regelmäßig Online-Netzwerkevents für Sprecher*innen anbietet.

Außerdem weiß ich, dass einige meiner Kolleg*innen Figuren im Studio haben, die sie auf ähnliche Weise ansprechen. Das kann zum Beispiel ein kleiner Buddha sein, ein Stofftier, ein Wichtel oder oder…

Der Vorteil eines Fotos ist, dass du dir die Person je nach deinem Projekt passend aussuchen kannst. Außerdem kann es sein, dass sich ein menschliches Gegenüber konkreter anfühlt als z. B. ein Stofftier oder ein Fabelwesen.

Der Vorteil einer Figur ist, dass du eine wählen kannst, die für dich persönlich eine besondere Bedeutung hat. Vielleicht beruhigt dich der Buddha, allein vom Anschauen, oder der Wichtel ist mit deinem persönlichen Traum verbunden und macht dir Mut.

Hier darfst du ausprobieren, was für dich am besten funktioniert!

7. Sprich das Mikrofon an

Diesen Tipp habe ich noch nicht so intensiv probiert, ich nehme ihn aber trotzdem mit auf, weil er mir immer wieder unterkommt. Du kannst auch dein Mikro ansprechen, als wäre es eine Person.

Voraussetzung dafür ist, dass dein Mikro direkt vor dir positioniert ist. Wenn du es seitlich aufgestellt hast, um die Wucht von Plosiven und Ähnlichem etwas abzulenken, würde ich diese Strategie nicht empfehlen, denn sie verleitet dich dazu, dich zum Mikro hinzudrehen. Klar – wenn ich mit jemandem rede, will ich ihn auch anschauen.

Wenn du dein Mikro ohne Verrenkungen im Blick hast, probiere es ruhig aus. Es soll sogar Sprecher*innen geben, die ihrem Mikrofon Augen aufgeklebt haben, um es besser ansprechen zu können.

Meine Lieblingsstrategien für Kontakt zu meinen Hörer*innen

Meine Lieblingsstrategien sind Nr. 2, 3 und 4. Den imaginären Blickkontakt nutze ich sehr viel. Und immer wenn ich neu ansetze, sage ich vorher den Namen meiner Lieblingshörerin 😊

Die Strategie „die Stille hören“ war die erste, die mir in meiner Anfangsphase geholfen hat. Ich habe sie damals durch Herumprobieren entdeckt und nutze immer noch manchmal. Sie hilft mir besonders, wenn ich unruhig und angespannt bin, weil das Lauschen in die Stille mich zusätzlich auch noch entspannt.

Welche Strategien hast du schon ausprobiert? Welche sind neu für dich, und welche sprechen dich an? Welche fehlt vielleicht noch in meiner Liste? Ich freue mich, wenn wenn du mir von deinen Erfahrungen berichtest. In den Kommentaren oder auch per Mail, wenn es dir lieber ist.

    0 Kommentare

    Einen Kommentar abschicken

    Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert