Dieser Artikel ist an die 2. Folge des Herz & Zunge Podcasts angelehnt, den ich gemeinsam mit Lena Bodenstedt hoste.
Kommt Dir einer der folgenden Sätze bekannt vor?
- „Hoffentlich merkt niemand, wie nervös ich bin“
- „Ich darf mich auf keinen Fall versprechen.“
- „Ich darf keinen Fehler machen.“
Häufig denken wir sie, wenn wir aufgeregt sind, weil wir vor (oder mit) anderen Leuten über ein Thema sprechen sollen. Wir wollen alles richtig machen, so wie es von uns erwartet wird und wie wir es von uns selbst erwarten.
Aber was für ein Ideal streben wir da eigentlich an? Lena und ich nennen es das Ideal des „perfekten“ Redners. In der Podcastfolge nehmen wir es unter die Lupe: Was ist eine „perfekte“ Redner*in? Lohnt es sich wirklich, das anzustreben?
Du magst lieber hören als lesen? Hier kannst du dir die Folge anhören.
Was ist eine „perfekte“ Redner*in?
Am Anfang der Folge bittet mich Lena, mich in mein früheres Ich hineinzuversetzen. Als ich noch nichts mit Kommunikation am Hut hatte – wie hätte ich mir da eine perfekte Redner*in vorgestellt? Puh, gar nicht so einfach! Ich versuchte, abzustreifen, was ich seitdem gelernt habe. Meine Antwort sah ungefähr so aus:
Eine perfekte Redner*in war für mich…
- nicht ich – sogar sehr weit weg von mir
- deutlich älter
- super ausgebildet
- eher ein Mann als eine Frau (krass, oder?)
- jemand, dem man gebannt zuhört, weil es spannend ist
- selbstbewusst, überzeugt – weiß genau, was er tut
Wie Du siehst, konnte ich mich überhaupt nicht mit dieser Rolle identifizieren. Lena ging es ähnlich, auch bei ihr war die Vorstellung eher vage. Sie dachte an Vorbilder, wie zum Beispiel Barack Obama, und wusste sofort: das bin ich nicht. Und wenn ich versuchen würde, mich so zu vehalten wie er, wäre das überhaupt nicht authentisch.
Spannend! Wir beide haben uns die „perfekten“ Redner*innen also ganz anders vorgestellt, als wir es selbst waren. Dadurch erschienen sie weit weg und für uns – zumindest zum damaligen Zeitpunkt – nicht erreichbar. Das finden wir wenig motivierend, vor allem wenn man gerade erst anfängt, sich mit einem Thema vor Publikum zu wagen. Hier sehen wir schon den ersten Grund, uns vom Ideal des „perfekten“ Redners zu verabschieden.
Authentisch oder perfekt?
Außerdem ist da noch Lenas Erkenntnis, dass sie niemals Barack Obama sein kann – und dass es nicht authentisch wäre, wenn sie ihn nachahmen würde, obwohl er wirklich ein sehr guter Redner ist. Was machen wir damit?
Authentizität bedeutet so viel wie „Stimmigkeit“. So wie Du Dich verhältst, passt es zu Dir, es bringt zum Ausdruck wer Du bist. Darüber hinaus sollte es auch zur Situation und zu den Zuhörer*innen passen. Stimmigkeit ist die Balance zwischen dem, was Dein Publikum braucht, um sich auf Dich und das, was Du sagst, einzulassen und dem, was Du brauchst, um Dich wohl zu fühlen und Deine Gedanken kraftvoll zum Ausdruck zu bringen.
Das kann ganz unterschiedlich aussehen. Du und Deine Kolleg*in sprechen vielleicht in derselben Situation, vor denselben Zuhörer*innen. Trotzdem habt ihr jeweils euren eigenen Stil und das ist vollkommen in Ordnung so.
Aber was bedeutet das für das Ideal vom „perfekten“ Redner? Es bedeutet, dass wir ihn nicht festlegen können. Wir können nicht sagen, „perfekt“ ist, wenn Du so und so redest. Wenn Du diese Gesten und jene Worte benutzt. Es kommt darauf an, das Passende zu finden. Und das ist für jede Redner*in etwas anderes.
Übrigens haben auch die Zuhörenden ihre ganz eigenen Vorlieben. Was für mich (als Zuhörerin) eine perfekte Redner*in ist, ist für Dich vielleicht nur so „ok“ und umgekehrt – wer weiß!
Woher kommt der Anspruch, „perfekt“ zu sein?
Irgendwann in unserem Gespräch stelle ich Lena die folgende Frage:
„Ist ein perfekter Redner einer, der keine Fehler macht?“
Das passt auf jeden Fall zu den Ängsten, die ich ganz zu Beginn zitiert habe. Sie speisen sich aus unserem Perfektionismus – dem Anspruch, eine Aufgabe vollkommen und fehlerfrei zu erledigen und dadurch keinen Raum für negative Urteile oder Kritik zu lassen.
Dieser Drang, alle möglichen Fehler oder Unperfektheiten zu vermeiden, kann sogar dazu führen, dass wir am Ende gar nichts tun. Auf alle Fälle kann er eine Menge Stress und Kopfzerbrechen verursachen. Denn indem wir unsere Gedanken vor anderen Menschen aussprechen, machen wir uns angreifbar. Wer weiß, wie die anderen darauf reagieren werden? Ob sie das Gesagte nachvollziehen können oder ob sie es für naiv halten? Ob sie mich vielleicht unsympathisch finden? All das wissen wir vorher nicht. Wir setzen uns einem Risiko aus.
Aber auf der anderen Seite steht die Chance, dass Deine Gedanken eben doch jemand nachvollziehen kann. Vielleicht enthalten sie genau das Puzzleteil, das jemand anderem noch gefehlt hat. Vielleicht stellt ihr eine Gemeinsamkeit fest oder es entsteht ein spannender Austausch. Das kann nur passieren, wenn Du Deine Gedanken aussprichst.
.
.
Wie realistisch sind unsere Ängste?
Aber wovor genau haben wir eigentlich Angst? Was könnte passieren, wenn wir unsere Gedanken vor einem (großen oder kleinen) Publikum aussprechen? Diese Frage haben wir uns im Podcast gegenseitig gestellt.
Lena war früher oft aufgeregt, wenn sie vor einer Gruppe reden sollte. Sie dachte dann, dass ihr Publikum bestimmt merken würde, dass sie aufgeregt ist. Dass es nur noch darauf achten würde und nicht auf den Inhalt, und dass es sie letztelich, in ihrer Kompetenz, nicht mehr ernst nehmen würde.
Bei mir ist es so, dass ich manchmal Angst habe, inhaltliche Fehler zu machen, die dann jemand bemerkt. Diese Person könnte denken, ich sei keine richtige Expertin oder vielleicht etwas naiv oder ich hätte mich nicht richtig damit beschäftigt. Im Grunde läuft es auf dasselbe hinaus wie bei Lena: ich befürchte, dass ich abgelehnt werde, und dass mir meine Kompetenz abgesprochen wird.
Sind diese Ängste realistisch? Das können wir natürlich nicht für jede Situation vorhersagen. Aber unsere Erfahrung sagt uns folgendes:
- Aufgeregt zu sein, sich zu verhaspeln oder zu versprechen und Fehler zu machen ist etwas ganz und gar Menschliches. Das ist mit Sicherheit jeder Zuschauer*in schon einmal passiert.
- Die meisten Menschen bewerten das nicht negativ. Sie schenken dem viel weniger Aufmerksamkeit als wir selbst (wenn es uns gerade passiert und wir uns dafür schämen).
- Manchmal tragen diese kleinen Unperfektheiten sogar dazu bei, dass wir menschlicher wirken und die Zuhörer*innen sich uns näher fühlen.
Man könnte auch sagen: zu unseren Fehlern und Unperfektheiten zu stehen, macht uns authentisch 🙂
Außerdem ist es so, dass wir, wenn wir aufgeregt sind, zu negativen Zukunftsszenarien neigen. Das heißt, wir malen uns die schlimmsten Sachen aus. In einer entspannten Situation würden wir den Ausgang der Situation ganz anders einschätzen.
Wir brauchen Fehler
Aber selbst dann, wenn ich wirklich einen inhaltlichen Fehler mache, und wenn das wirklich jemand bemerkt und mich darauf anspricht, und wenn das wirklich richtig unangenehm für mich ist, ist es trotzdem etwas Gutes.
Häää, denkst Du Dir vielleicht? Spinnt die? Nein, ich bin wirklich der Meinung, dass es etwas Gutes ist, Fehler zu machen. Weißt Du, warum? Weil unsere eigene Perspektive begrenzt ist. Es kann und wird vorkommen, dass wir uns irren oder einen wichtigen Aspekt vergessen. Oder dass wir etwas falsch machen. Und dann sind wir darauf angewiesen, dass es uns jemand sagt.
Auf einen Fehler hingewiesen zu werden, mag im ersten Augenblick unangenehm sein. Aber es ist auch ein starker Motor, um uns zu entwickeln! Und je mehr wir uns von dem Anspruch lösen, alles auf Anhieb perfekt zu machen, desto besser können wir damit umgehen.
Wir brauchen das Publikum
Übrigens: wenn ich davon ausgehe, dass die Zuhörer*innen mir helfen können, meine Annahmen zu überprüfen und neue Impulse zu bekommen, dann verändert sich auch meine Haltung zum Publikum. Ich fühle mich nicht mehr so ausgeliefert und kann ihm auf Augenhöhe gegenübertreten. Ich betrachte die Zuhörenden nicht als Gegner, sondern als Partner.
Wie würdest Du reagieren, wenn Du einen Vortrag hörst und folgende Dinge passieren:
- Du hast den Eindruck, dass die Redner*in etwas nervös ist.
- Die Person, die spricht, verspricht sich, korrigiert sich aber sofort und redet weiter.
- Sie macht einen inhaltlichen Fehler und wird von einer Zuhörer*in freundlich darauf hingewiesen. Es folgt ein kurzes Gespräch, aus dem deutlich wird, dass ihr eine wichtige Information fehlte. Sie bedankt sich für den Hinweis und es geht weiter.
Wie würdest Du reagieren? Käme es Dir komisch vor? Würdest Du Dich ärgern? Oder lehnst Du Dich einfach in Deinem Stuhl zurück und konzentrierst Dich auf ihren Vortrag?
Ich finde diese kleine Übung hilfreich, um mir bewusst zu machen, wie die gefürchteten „Unperfektheiten“ von der anderen Seite – aus der Sicht einer Zuhörer*in aussehen. Es sind Kleinigkeiten, die meinen Blick auf die Redner*in nicht bestimmen. Ich sehe nämlich nicht nur, dass sie sich versprochen hat, sondern auch, dass ihr Vortrag spannend und glasklar strukturiert ist. Vielleicht ist mir ihre Art sympathisch oder ich bin beeindruckt, wie gelassen sie mit Nachfragen umgeht. Kurzum: ich mache meine Meinung über eine Person nicht an solchen Kleinigkeiten fest. Und viele andere auch nicht.
Erlaube Dir, in Entwicklung zu sein
Außerdem darfst Du Dir erlauben, in Entwicklung zu sein. Mach Dir bewusst, was Du schon gut kannst und was Du noch lernen willst. Niemand (außer der inneren Perfektionist*in) erwartet, dass Du alles jetzt schon beherrschst.
Wenn Du etwas entdeckt hast, woran Du arbeiten möchtest, dann kannst Du bewusst darauf achten und Dir Unterstützung oder Feedback holen. Und Du darfst sanft mit Dir sein und verständnisvoll, wenn es nicht gleich auf Anhieb besser wird, denn manchmal brauchen diese Dinge auch Zeit.
Abschluss
In der Podcastfolge machen Lena und ich noch ein paar Vorschläge, worauf Du achten kannst, wenn Du anfangen willst, Dich im Reden weiterzuentwickeln. Das lasse ich an dieser Stelle weg, weil ich finde, dass es vom Thema des Artikels wegführt.
Stattdessen möchte ich Dich gerne fragen, wie Du mit Unperfektheiten in der Kommunikation umgehst. Stören sie Dich bei Dir selbst? Würdest Du sagen, dass die Angst, einen Fehler zu machen, Dich manchmal vom Sprechen abhält? Und wie bewertest Du sie bei anderen, wenn Du ihnen zuhörst?
Erzähl mir gerne in den Kommentaren von Deinen Eindrücken.
Alles Liebe
Deine Paula
Das ist nicht schlecht, sondern sogar gut, dass niemand ( außer der inneren Perfektionistin) erwartet , dass alles perfekt ist. Ist es wirklich so? Ganz überzeugt bin ich noch nicht, aber ich sage mir und den Zuhörern dann, dass ich eine pensionierte Realschullehrerin und keine Linguistikprofessorin bin. Denn habe den größten Bammel, dass mein Fachvortrag in meinem bevorstehenden Bildungsurlaub nicht genügend bietet. Mein Arbeitszimmer ist übersät mit Material, damit ich genügend Stoff erarbeiten kann. Vielleicht muss ich mir sagen, dass ich mehr weiß als die Teilnehmer ? Aber schön zu hören, dass ich nicht perfekt sein muss. Ich danke euch, liebe Paula und liebe Lena. LG aus Leer von Angelika
Liebe Angelika,
danke für Deinen Kommentar! Wir können natürlich nicht für JEDES Publikum sprechen. Aber ganz oft ist es so. Eine kleine Unperfektheit – bei einer sonst gut vorbereiteten und engagierten Vortragenden – fällt gar nicht weiter auf.
Vielleicht hilft es Dir für Deinen Vortrag, wenn Du Dich in die Perspektive des Publikums hineinversetzt: Was interessiert Deine Zuhörer*innen an dem Thema? Welche Fragen beschäftigen sie? Was wissen und schätzen sie bereits? Das hilft, aus der Expert*innensicht herauszukommen und nicht ZU viel Stoff hineinzupacken 😉
Für Deinen Fachvortrag wünsche ich Dir viel Erfolg und auch viel Freude!
Alles Liebe
Paula