Warum „ins kalte Wasser werfen“ im Kommunikationstraining der falsche Ansatz ist

von | Aug 22, 2022 | Persönliches | 0 Kommentare

Ich habe in letzter Zeit darüber nachgedacht, was meinen Ansatz im Kommunikationstraining eigentlich von anderen unterscheidet. Eine Sache ist mir dabei besonders deutlich geworden: Ich halte gar nichts davon, jemanden „ins kalte Wasser zu werfen“!

„Ins kalte Wasser werfen“ als Methode im Kommunikationstraining?

Immer wieder höre ich von Kommunikations- und Rhetoriktrainings, bei denen die Teilnehmer*innen „ins kalte Wasser geworfen“ werden. Sie müssen dann zum Beispiel ganz oft vor die Gruppe, um etwas zu sagen, oft auch spontan. Alle kommen dran, und wenn jemand nicht will, wird das nicht geduldet.

Eine Freundin hat mir vor Kurzem von genau so einem Training erzählt. Es ist schon ein paar Jahre her, und damals fiel es ihr noch wirklich schwer, vor einer Gruppe zu sprechen. In dem Training hatte sie kaum Gelegenheit, sich an die Herausforderung heranzutasten. Sie fühlte sich überfordert, musste aber trotzdem alles mitmachen. Das war extrem stressig und belastend für sie, und am Ende war sie einfach nur froh, dass es vorbei war.

Das Ziel dieser Herangehensweise ist, dass man sich durch das ständige Üben und Überwinden daran gewöhnt, vorne zu stehen und mit den Zuhörer*innen zu sprechen. Man merkt im Idealfall, dass es gar nicht so schlimm ist und wird mit der Zeit immer mutiger. Das kann durchaus wirkungsvoll sein – aber es funktioniert nur, wenn die Überwindung nicht ZU groß ist.

Ist das Wasser kalt oder tief?

Das Wiktionary übersetzt die Redewendung „jemanden ins kalte Wasser werfen“ so:

das Zuweisen von schwierigen Aufgaben an Laien und Unerfahrene (die in der Regel nicht ausreichend vorbereitet sind).

Wenn man sie ins Englische oder Niederländische übersetzt, kommt noch etwas interessantes dazu: das Wasser ist auf einmal nicht mehr kalt, sondern tief!

  • Englisch: be plunged in at the deep end‎
  • Niederländisch: iemand in het diepe gooien‎

Das gibt dem Ganzen noch eine existentiellere Bedeutung, finde ich. Plötzlich im kalten Wasser zu landen, kann ja schon erschreckend genug sein. Ist das Wasser noch zusätzlich tief, musst Du schwimmen können.

Wenn Du eine erfahrene Schwimmerin bist, ist das vielleicht nicht so tragisch. Das müsste ich aber auch wirklich ganz sicher wissen, bevor ich daran denken könnte, Dich ins Wasser zu werfen. Beim Kommunikationstraining in der Gruppe weiß ich in der Regel nicht so genau, ob der Schritt vor die Gruppe für die Teilnehmer*innen eine kleine oder eine riesengroße Überwindung darstellt.

Wenn alles zu schnell geht…

Besonders unangenehm finde ich den Aspekt des Geworfenwerdens. Bei meiner Freundin war es so, dass der Trainer ihr keine Wahl gelassen hat. Er hat Druck aufgebaut und ihr das Gefühl gegeben, sie müsste mitmachen.

Ich selber wurde mal in einem Coaching „ins kalte Wasser geworfen“. Ich war dabei, meine ersten Angebote zu entwickeln und fand es schwer, mich für einen Preis zu entscheiden. Von dem Coaching wünschte ich mir, dass ich meine ganzen Überlegungen mal mit jemandem durchsprechen, mehr Klarheit gewinnen und am Ende eine Entscheidung treffen konnte.

Nach einem kurzen Austausch ist meine Coachin unvermittelt in die nächste Phase übergegangen: in einem Rollenspiel wollte sie üben, wie ich meine Preise selbstbewusst kommuniziere. Sie spielte eine Kundin, die (am Telefon!) von mir wissen wollte, was ich denn so anbiete.

Das kam vollkommen überraschend für mich. Ich konnte mich so schnell nicht darauf einlassen. Statt mit mehr Klarheit ging ich am Ende vollkommen aufgewühlt nach Hause.

Entscheidungsfreiheit: Ich will nicht geworfen werden!

Mein Problem mit dem Rollenspiel war folgendes:

  1. Da, wo ich gerade stand, brauchte ich etwas anderes.
  2. Ich hatte keine Zeit, mich mental darauf einzustellen.
  3. Ich war plötzlich mittendrin und hatte keine Gelegenheit, mich dafür zu entscheiden.

Von dieser Erfahrung musste ich mich erstmal erholen. Aber ich habe gemerkt, wie wichtig mir auch hier Selbstbestimmung ist. Ich möchte nicht Hals über Kopf in irgendetwas hineingeworfen werden. Und ich möchte das auch nich bei meinen Kund*innen tun.

Dein Sicherheitsgefühl ist entscheidend

Als Kommunikationspädagogin unterstütze ich Dich, wenn Du Dein Sprechen vor oder mit anderen weiter entwickeln willst. Dabei ist mir wichtig, dass Du Dich sicher fühlst, und dass Du selbst die Verantwortung für Dich übernimmst.

Denn Du weißt am allerbesten, was für Dich sicher ist. Und wenn es sich zum Beispiel nicht sicher anfühlt, zum Beispiel schon in der Vorstellungsrunde nach vorne zu kommen und etwas von Dir zu erzählen, dann verlange ich das auch nicht von Dir. Deshalb gebe ich mir große Mühe, solche potentiellen Herausforderungen vorsichtig einzusetzen und Dir im Zweifel eine Alternative anzubieten.

Wie aufregend ist es für Dich?

Wenn wir plötzlich in einer Situation landen, die sich gefährlich anfühlt, wird der sympathische Teil unseres Nervensystems aktiviert. Wir kommen dann in eine Art Alarmzustand (fight or flight). Das Herz schlägt schneller, wir atmen mehr Luft ein, und die Anspannung im Körper steigt, um nur ein paar Auswirkungen zu nennen. Es kann auch sein, dass wir Angst haben. Der Körper wird aktiviert und setzt Energie frei, um der Gefahr zu entgehen.

Diese Reaktion kann mehr oder weniger stark ausfallen. Ist sie nur leicht, spürst Du vielleicht etwas Aufregung. Das kann angenehm und motivierend sein. Aufregend eben.

Wenn sie sehr stark ausfällt, kann es aber ganz schön heftig werden. Das ist nicht wirklich hilfreich, wenn es darum geht, etwas Neues zu lernen, im Gegenteil – es ist wahrscheinlich eher ein unangenehmes Erlebnis, also wird die Hemmschwelle beim nächsten Mal ein bisschen größer.

Geständnis: Ich habe das selber schon einmal (unabsichtlich) gemacht

Ich will ganz ehrlich zu Dir sein: auch ich habe schonmal jemanden ins kalte Wasser geworfen, allerdings unabsichtlich. Ich bot ein Seminar zum Thema „Sicher Auftreten“ an, und gab mir große Mühe, meine Gruppe in kleinen Schritten an das Thema heranzuführen. Am ersten Tag hat das super geklappt: die Teilnehmerinnen haben offen über ihre Ängste gesprochen und wir haben mit kleinen, spielerischen Übungen angefangen. Daran hatten sie Spaß, und die Stimmung wurde immer gelöster.

Am zweiten Tag sollten sie dann eine etwa fünfminütige Rede halten, zu der sie ein Feedback bekamen. Alle Teilnehmerinnen haben ihre Rede gehalten, und ich war beeindruckt, wie souverän sie das gemeistert haben. Aber als wir anschließend darüber sprachen, fiel mir auf, dass eine Teilnehmerin ihre Rede – die richtig gut war – extrem kritisch bewertete. Sie wirkte gestresst und konnte ihren Erfolg nicht als solchen wahrnehmen.

Im Verlauf des Tages hatte ich mitbekommen, dass der Vortrag eine große Herausforderung für sie war. Ich denke, dass die Rede für sie ein „Sprung ins kalte Wasser“ war, der sie sehr gestresst hat. Sie hatte mit so starker Aufregung zu kämpfen, dass ihr Sicherheitsgefühl beim Vortragen nicht nachhaltig gestärkt wurde. Wer weiß – vielleicht würde sie es anders bewerten. Ich bin seitdem noch ein bisschen vorsichtiger geworden.

Was ich daraus gelernt habe

Wenn ich heute Trainings zu diesem Thema gebe, dann mache ich einige Dinge anders. Ich möchte, dass es immer eine Alternative gibt, und dass niemand das Gefühl hat, etwas machen zu müssen.

Das ist gar nicht immer so einfach, besonders in der Gruppe, wenn Dir eine Übung schwer fällt und die anderen haben (scheinbar) kein Problem damit.

So versuche ich im Kommumikationstraining mehr Sicherheit zu schaffen:

  • Ich lade die Teilnehmenden dazu ein, über ihre Ängste, Bedenken oder aufkommenden Stress zu sprechen.
  • Ich kündige an, was ich vorhabe und hole mir für jede neue Übung ihr Einverständnis ein.
  • Ich biete Alternativen an, sodass die Teilnehmenden den Schwierigkeitsgrad selbst bestimmen können.
  • Ich arbeite noch mehr mit spielerischen Übungen. Mit größeren, intensiv vorbereiteten Präsentationen bin ich vorsichtig, außer die Teilnehmenden wünschen es sich.
  • Ich lade die Teilnehmer*innen ein, auch kleine Erfolge zu feiern. Pausen und Reflektionsmöglichkeiten sind wichtig, bevor wir uns an die nächste Herausforderung ranwagen.

Langsam reingehen ist genauso mutig wie springen

Generell achte ich darauf, dass ich nicht gleich mit der ganz großen Herausforderung (dem Sprung ins kalte Wasser) anfange, sondern mit verschiedenen kleineren. So kannst Du selbst entscheiden, wie weit Du in dem Moment gehst. Wenn es Dir zu kalt wird, machst Du eine Pause oder gehst nochmal ein, zwei Schritte zurück. Und Du hast viele kleine Erfolgserlebnisse, die Dir Energie für die nächsten Schritte geben.

Wenn wir 1 : 1 zusammenarbeiten, können wir die Abfolge ganz individuell planen. Bei einem Workshop in der Gruppe muss ich sie vorplanen. Wenn Du da schließlich vor der Gruppe stehst und redest, hast Du vorher schon einiges geschafft:

  • Du hast zugehört und Gelegenheit bekommen, schriftlich oder mündlich an der Diskussion in der Gruppe teilzunehmen.
  • Du hast Dich mit verschiedenen anderen Teilnehmenden zu zweit unterhalten.
  • Du bist quer durch den Raum gelaufen.
  • Du hast von Deinem Platz aus etwas gesagt.
  • Du hast vielleicht vor einer kleinen Teilgruppe gesprochen, oder mit jemandem zusammen vorne vor der ganzen Gruppe gesprochen

Da diese Dinge nach und nach im Lauf des Trainings passieren, kennst Du die anderen Teilnehmenden immer besser. Es fühlt sich vertrauter und sicherer an. Zwischendurch gibt es Pausen und Gelegenheit, über das Erlebte zu reflektieren. Vielleicht wirst Du sehen, dass es anderen ähnlich geht wie Dir, und auch das macht es nochmal leichter.

Wie gehst Du gerne ins Wasser?

Ehrlich gesagt, ist mir das auch bei echten Gewässern das liebste: Stück für Stück reingklettern und mich langsam an das kalte Wasser gewöhnen.

Hier in Münster kann man im Dortmund-Ems-Kanal schwimmen, und es gibt so Treppen, über die man reinklettern kann. Manchmal gehe ich wirklich Zentimeter für Zentimeter nach unten. Und wenn ich die nächste Treppenstufe erreicht habe, mache ich erstmal ein paar Atemzüge Pause. Der Moment am Ende, wenn ich ganz eintauche, die Leiter loslasse und schwimme, ist mir „Sprung“ genug 😀

Der Kanal in Münster mit einigen Badenden

Springen oder doch lieber die Leiter nehmen?

Und weißt Du was? Das ist auch vollkommen ok so. Manchen macht es Spaß, direkt reinzuspringen, sie genießen die plötzliche Kälte. Früher ging mir das auch so, und vielleicht werde ich es irgendwann wieder tun. Aber im Moment fühle ich mich mit der „langsamen“ Methode sehr wohl.

Und wie ist das bei Dir? Gehst Du lieber langsam ins Wasser, oder genießt Du das Springen? Lass mir gern einen Kommentar da, oder schreibe mir!

Deine Paula

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert